
Was denn nun? Hüh oder Hott?
Oder von hinten durch die Brust ins Auge? Mit Kanonen auf Spatzen schießen?
Über Wahr-Schein-lichkeiten
Mein Leben mit MS:
Hallo und herzlich willkommen bei MS-Voices! Ich bin Irene, und hier dreht sich alles um das Leben mit Multipler Sklerose (MS). Als ich vor einigen Jahren die Diagnose erhielt, hat sich mein Alltag auf den Kopf gestellt – und ich war plötzlich mit unzähligen Fragen, Ängsten und Herausforderungen konfrontiert. In diesem Blog möchte ich meine persönlichen Erfahrungen mit euch teilen und Menschen eine Stimme geben, die unter MS leiden. Wie ist das wirklich, mit MS zu leben? Wie verändert es den Alltag, die Beziehungen und die Zukunftsplanung? Hier gibt es ehrliche Einblicke, praktische Tipps und die ein oder andere Anekdote aus meinem Leben – direkt aus dem Herzen einer Betroffenen.
Irgendwie komme ich mir betrogen vor. Nicht „gehört“ und in die Ecke gedrängtIrgendwie komme ich mir betrogen vor. Nicht „gehört“ und in die Ecke gedrängt.
Anfang 2024, kurz nach der OCREVUS-Gabe im November 2023, habe ich mit meinem Neurologen zusammen besprochen, dass ich diese Therapie aufgrund der massiven Nebenwirkungen für mich absetze. Diese Therapie habe ich nur ein Jahr durchgehalten, weil sie mir meine Lebensqualität genommen hat und weil sich mein Gesamtzustand deutlich verschlechtert hatte. Das fing an bei der Gehstrecke, die plötzlich signifikant geschrumpft ist, und ging bis hin zu depressiven Episoden, die ich bis zu diesem Punkt so nicht kannte. Ehrlich gesagt: Selbst, wenn mein Neurologe nicht mit meinem Therapieabbruch einverstanden gewesen wäre, hätte ich genau so entschieden. Mein Körper, meine Regeln. Punkt.
Damals aber hat er es mitgetragen. Wir waren so verblieben, dass wir mich regelmäßig ins MRT schieben: Schädel, Hals- und Brustwirbelsäule. Wenn hier keine Veränderung zu sehen wäre, wäre das wunderbar, (Zitat) „… weil sowieso kein Mensch (auchkein Mediziner) die absolute Wirksamkeit aller MS-Medikamente bestätigen könne…“. Und wenn neue Beeinträchtigungen auftauchen, die durch „Dampf im Kessel“, also durch frische Entzündungsherde verursacht würden, dann eben ab uns Krankenhaus und die bis zum Erbrechen bekannte Kortison-Stoßtherapie von fünf Tagen à 1000 mg.
Ja, es war und ist mir klar, dass das einem Russisch-Roulette gleicht. Aber in dem guten Jahr, ohne Therapie, haben sich meine Blutwerte deutlich erholt, meine Haare (die unter der OCREVUS-Therapie massiv ausgefallen waren) wachsen wieder, kein Herpes mehr im Gesicht oder an den Lippen, kein wochenlanger Nebenwirkungs-Husten mehr und meine depressiven Episoden sind verschwunden. Eigentlich fühle ich mich soweit ganz gut, obwohl ich das Gefühl habe, dass mir mehr Fähigkeiten verloren gehen, wie zum Beispiel meine Feinmotorik; aber auch die Grobmotorik scheint beeinträchtigt , ich stürze öfter, weil mein rechtes Bein auf einmal und vor allem ohne Vorwarnung unter mir nachgibt, und die Spastiken – besonders die MS-Hugs – quälen mich nach wie vor. Ich schiebe das auf den mittlerweile schleichenden Verlauf der MS.
So. Und jetzt wird es spannend. Ich war natürlich regelmäßig, innerhalb des guten Jahres ohne Therapie entsprechend zu den Quartalsterminen beim Neurologen. In den MRTs, die in der Zwischenzeit angefertigt wurden, waren keine neuen Herde zu sehen (obwohl ich den Bildern ehrlich gesagt nicht immer traue. Warum, das lest ihr gleich im Infokasten), kurzer Bericht, wie es mir geht, Medikamente gegen Restless Legs Syndrom, die Spastiken und die Fatigue verschrieben, Fertig und Tschüss, bis zum nächsten mal.
Letzte Woche dann meinte er nun, obwohl die frische ausgewerteten MRTs keine Änderung an den Läsionen aufgewiesen haben, aus heiterem Himmel, dass ich nicht um eine neue Therapie herumkommen würde. Ich solle es mir überlegen und ihm Bescheid sagen; er würde mich dann ins Krankenhaus schicken, damit die Neurologen dort dann die beste Therapie für mich raussuchen. ZACK. Fertig. Medikamente verschrieben, neuer Termin. Tschüss und weg.
Ich war und bin wie vor den Kopf geschlagen! Was war und ist mit der Vereinbarung, die wir BEIDE vor einem guten Jahr getroffen haben? Wo war und ist seine Aussage, dass sowieso niemand für die Wirksamkeit all dieser Medikamente garantieren könne? Und das beinahe schlimmste für mich war bei diesem Besuch, dass er mir nicht geglaubt hat, als ich ihm gesagt habe, dass sich manche Symptome verschlechtert haben. Die MRTs haben schließlich keine neuen bzw. frischen Läsionen gezeigt; das hat er mir dann extra nochmal vorgelesen. Vielen Dank. Also ist es dann nicht wahr, was ich sage?
Ich fühle mich in die Ecke gedrängt. Der mit mir geschlossene Vertrag soll nun einseitig aufgelöst werden? Nein, nein, nein! Nicht mit mir! So nicht!
Info:
Es ist möglich, dass MS-Symptome trotz fehlender neuer Herde im MRT sich verschlechtern, da die MS auch durch andere Mechanismen als Entzündung und Bildung neuer Läsionen die Nervenfunktion beeinträchtigen kann. Dieser Prozess wird als “Neurodegeneration” bezeichnet, erklärt das MS Society.
- MRT zeigt nur einen Teil der MS-Aktivität:
Die MRT ist ein wichtiges Werkzeug zur Diagnose und Verlaufskontrolle der MS, zeigt aber nicht alle Aspekte der Erkrankung. Sie kann Entzündungsherde (Läsionen) im Gehirn und Rückenmark sichtbar machen, die durch die MS entstehen. - Neurodegeneration:
Neben der Entzündungsaktivität kann die MS auch die Nervenzellen selbst schädigen und ihre Funktion beeinträchtigen, selbst wenn keine neuen Läsionen im MRT sichtbar sind. Dies nennt man Neurodegeneration. - Diffuse Schädigungen:
Bei der sekundär progredienten MS können sich auch kleine, diffuse Schädigungen (Mikroläsionen) im Nervengewebe bilden, die im MRT nicht gut sichtbar sind. - Symptome können trotzdem fortschreiten:
Wenn die MS unter der Oberfläche weiterhin aktiv ist, kann es zu einer fortschreitenden Verschlechterung der Symptome kommen, obwohl keine neuen Läsionen im MRT zu sehen sind. - Individuelle Unterschiede:
Der Verlauf der MS ist sehr individuell. Manche Menschen erleben deutlich spürbare Schübe, während andere eine stetige, aber weniger dramatische Verschlechterung erleben.
Was tun?
- Symptome nicht ignorieren:
Auch wenn das MRT keine neuen Läsionen zeigt, sollten Verschlechterungen der Symptome ernst genommen und mit dem Arzt besprochen werden. - Regelmäßige Verlaufskontrollen:
Regelmäßige neurologische Untersuchungen und ggf. auch MRT-Kontrollen können helfen, den Krankheitsverlauf zu überwachen und bei Bedarf die Therapie anzupassen. - Therapieoptionen:
Es gibt verschiedene Therapieoptionen für MS, die darauf abzielen, die Entzündung zu reduzieren, die Neurodegeneration zu verlangsamen und die Symptome zu lindern.
Zusammenfassend: Verschlechterung der MS-Symptome, obwohl keine neuen Herde im MRT sichtbar sind, kann auf verschiedene Mechanismen der MS, wie z.B. Neurodegeneration, hindeuten. Es ist wichtig, solche Verschlechterungen ernst zu nehmen und mit dem Arzt zu besprechen, um eine angemessene Therapie und Betreuung zu erhalten.
Seht ihr, auf was ich hinaus will? All die „kann‘s“ und „können’s“? Bei all dem geht es um Wahrscheinlichkeiten! Und: Nehmen wir das Wort doch mal auseinander: Wahr(heit) und Schein. Hey, Leute! ICH bin keine Wahrscheinlichkeit! ICH BIN ICH, IRENE! Ich bin ein Mensch, der Protagonist sozusagen, hier in diesem Fall und im Leben sowieso! Ich will gehört werden! Ich will mitreden und nicht in eine Ecke gedrängt werden, aus der ich nur als Verlierer herauskommen kann!
Und außerdem, was nicht vergessen werden darf: ich bin mittlerweile fast 58 Jahre. Was von meinen Beschwerden ist jetzt noch der MS und was ist dem Alter zuzuordnen? Ich wäre ja dafür, beides aus meinem Wortschatz zu streichen, aber es ist, wie es ist! Klar, die Spastiken sind nach wie vor MS. Aber das andere? Ist das MS oder das Alter? Oder kann beides weg?
Gerade jetzt, wo es mir einigermaßen gut geht bis auf die beschriebenen Dinge, soll wieder mit Kanonen auf mein Immunsystem geschossen werden? Was, wenn es auch noch andere Stellschrauben gibt, wie z.B. das hochdosierte Vitamin D3 (Coimbra-Protokoll), das aber für einen Kassenpatienten nun mal unerschwinglich ist, weil die Kosten von mehreren Hundert Euro pro Monat selbst getragen werden müssen?
Also nochmal zurück zu Wahr(heit) und Schein. Solange mir kein Mediziner sagen kann, dass eine Behandlung mit den bisher bekannten Medikamenten 100prozentig hilft; solange ich denen nicht auf den Hals oder auf die Brust patschen und sagen kann „gooood Joooob“, wie meinem Ex-Kaltblut-Pferd Clara, wenn sie was besonders gut gemacht hat, mache ich: Richtig – nichts mehr dergleichen. Ich habe die Nase voll von Versprechungen, von Wahr und Schein. Denn in allen Fällen bin ich die Leidtragende.
Nicht falsch verstehen: Ich weiß nicht, wo ich jetzt wäre, wenn ich die ganzen bisherigen Therapien nicht durchgezogen hätte. Das weiß letztendlich niemand. Für mich ist therapietechnisch gesehen der Weg hier und jetzt zu Ende. Was ich vielleicht noch mache, ist, mich für die Studie „MS im Alter“ von Prof. Dr. Dr. Meuth und seinem Kollegen Marc Pawlitzki zu bewerben. Vielleicht gibt es da Ansätze, die für mich in Frage kommen.
Noch ein Hinweis an alle: Das ist MEIN Weg! Er soll nicht als Beispiel oder Anregung dienen, denselben Weg einzuschlagen!
Irene hat das Buch geschrieben, das sie selbst gebraucht hätte. Als sie die Diagnose MS bekam, zog ihr das den Boden unter den Füßen weg – und zwar wortwörtlich. Ihr Weg zeigt im Rückblick, dass auch das Klinikpersonal oft nur unzureichend ausgebildet ist. Physiotherapie in warmem Wasser? Wohltuend, aber bei einer Entzündung im Gehirn nicht sehr förderlich. Ehrlich schreibt sie, welche Medikamente und Therapien ihr geholfen haben und welche nicht. Was einem Menschen mit MS zusteht, wo man sich Unterstützung holt und wie man eine gute Klinik erkennt. “Spring, damit du fliegen kannst” ist Irenes Beitrag für alle, die unter MS leiden. Mit dem Podcast MS-Voices gibt sie Betroffenen eine Stimme und kämpft um Sichtbarkeit und Relevanz der Erkrankung.