
Warum zu viel Verwöhnen dein Kind schwächt und wie du es wirklich stark machst
„Mama, darf ich das alleine machen?“
Morgens um sieben. Anna steht in der Küche, der Kaffee dampft, die Brotdosen sind fast fertig. Ihre achtjährige Tochter Emma schlüpft in ihre Jacke, sucht ihre Turnschuhe. Anna beobachtet sie aus dem Augenwinkel.
„Lass mich, Mama, ich schaff das!“, sagt Emma mit fester Stimme, als Anna schon im Begriff ist, ihr die Schnürsenkel zu binden. Anna zögert, ihre Hände in der Luft, lächelt dann und zieht sich zurück.
Diese kleine Szene zeigt einen entscheidenden Moment: den Unterschied zwischen unterstützen und überbehüten. Viele Eltern wollen helfen, meinen es gut und greifen dann doch zu oft ein. Aber: Kinder brauchen genau diese Gelegenheiten, um Selbstvertrauen zu entwickeln und Eigenständigkeit zu üben.
Wenn Liebe zu viel wird
Verwöhnen klingt auf den ersten Blick liebevoll. Es bedeutet, dass wir unseren Kindern möglichst viele Hürden ersparen wollen. Sie sollen es gut haben, sich nicht abmühen müssen, immer glücklich sein.
Doch zu viel Hilfe kann das Gegenteil bewirken. Studien zeigen, dass überbehütete Kinder später häufiger Schwierigkeiten haben, sich in neuen Situationen zurechtzufinden, eigene Entscheidungen zu treffen und mit Rückschlägen umzugehen.
Indem Eltern ihren Kindern alle Herausforderungen abnehmen, vermitteln sie unbewusst: „Ich traue dir nicht zu, dass du das schaffst.“ Diese Botschaft schwächt das Selbstwertgefühl und verhindert wichtige Lernerfahrungen.
Warum Kinder an ihren Aufgaben wachsen müssen
Jede gemeisterte Aufgabe, sei sie noch so klein, stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Kinder spüren: „Ich kann etwas bewirken.“ Dieses Gefühl ist ein zentraler Baustein für Resilienz, also die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Ein Beispiel: Ein Kind, das allein seine Brote schmiert oder den Weg zur Schule meistert, ist stolz und fühlt sich kompetent. Werden ihm diese Aufgaben ständig abgenommen, fehlt diese Erfolgserfahrung. Langfristig können solche Kinder eher dazu neigen, sich hilflos zu fühlen oder ständig die Bestätigung von außen zu suchen.
Verwöhnen ist nicht gleich Liebe
Oft glauben Eltern, Verwöhnen sei ein Ausdruck besonderer Zuwendung. Tatsächlich zeigen Studien, dass Kinder sich am meisten geliebt fühlen, wenn sie echte Aufmerksamkeit bekommen, durch Zuhören, gemeinsames Spielen, Lachen oder einfach durch ehrliches Interesse. Liebevolle Führung bedeutet, Kindern Verantwortung zuzutrauen, auch wenn das bedeutet, dass sie mal scheitern. Fehler sind wichtige Entwicklungsschritte. Eltern, die das akzeptieren, helfen ihren Kindern dabei, mit Frustration umzugehen und innere Stärke zu entwickeln.
Was kannst du stattdessen tun?
- Ermutige statt einzugreifen: Zeig deinem Kind, dass du an seine Fähigkeiten glaubst. Frag: „Wie würdest du das lösen?“
- Begleite statt zu übernehmen: Bleib in der Nähe, aber lass dein Kind selbst ausprobieren.
- Freu dich mit echten Gefühlen: Statt pauschal zu loben („Super gemacht!“), betone den Prozess: „Du hast dir wirklich Mühe gegeben, toll, wie du das alleine geschafft hast.“
- Akzeptiere Fehler: Fehler gehören dazu. Sag deinem Kind, dass es normal ist, nicht alles sofort richtig zu machen.
Weniger tun, mehr zutrauen
Elternsein bedeutet, Kinder auf ihrem Weg zu begleiten — nicht, ihnen alle Steine aus dem Weg zu räumen. Indem du weniger übernimmst und mehr zutraust, hilfst du deinem Kind, selbstbewusst und verantwortungsvoll zu werden.
Vielleicht erinnerst du dich ja an Emmas Schuhe. Sie hat es geschafft. Vielleicht nicht perfekt, aber selbst. Und das ist am Ende viel mehr wert als jede perfekt gebundene Schleife.
Der Kommentar von Nina, unserem Mental-Health-Coach:
Viele Eltern verwechseln Liebe mit ständiger Fürsorge. Doch Liebe bedeutet nicht, dem Kind alle Steine aus dem Weg zu räumen. Liebe bedeutet, dem Kind zu vertrauen, ihm eigene Erfahrungen zuzutrauen und es dabei nicht allein zu lassen.
Wenn wir lernen, weniger einzugreifen und mehr zu begleiten, schaffen wir eine Atmosphäre, in der Kinder sich selbst erleben und stärken können.
Am Ende ist das größte Geschenk, das wir ihnen geben können, nicht ein Leben ohne Stolpersteine, sondern die Gewissheit: „Ich schaffe das, und ich werde geliebt, egal was passiert.“