Spirit

Warum wir die Gefühle anderer falsch einschätzen

Kennst du das? Du kommst morgens ins Büro und hast das Gefühl, du seist die Einzige, die sich mies fühlt, während alle anderen gut drauf zu sein scheinen? Oder umgekehrt: Du bist glücklich und kannst gar nicht verstehen, warum andere so negativ sind? Diese Erfahrung ist nicht nur menschlich – sie ist geradezu unvermeidlich. Denn wir alle schauen durch die Brille unserer eigenen Gefühle auf die Welt.

Eine neue Studie enthüllt unsere emotionalen Denkfehler

Forscher der Universität Hongkong haben jetzt wissenschaftlich bestätigt, was viele in der Praxis schon ahnten: Wir schätzen die Gefühle anderer Menschen systematisch falsch ein. Und das hat weitreichende Konsequenzen für unser Wohlbefinden. Die Studie von Ho Ching Ip und Gilad Feldman, die 2025 im renommierten “Personality and Social Psychology Bulletin” veröffentlicht wurde, ist mehr als nur eine weitere Untersuchung – sie ist ein Weckruf.

Der emotionale Spiegeleffekt

Stell dir vor, du betrachtest andere Menschen wie in einem Zerrspiegel. Bist du selbst unglücklich, einsam oder unzufrieden? Dann unterschätzt du systematisch, wie häufig andere negative Emotionen erleben. Du denkst, du seist allein mit deinen Problemen. Geht es dir hingegen gut, überschätzt du die Häufigkeit positiver Gefühle bei anderen.

Diese Erkenntnis ist revolutionär, denn sie zeigt: Wir projizieren unser eigenes emotionales Erleben auf andere. Wir sehen nicht die Welt, wie sie ist, sondern wie wir sind.

Warum das so gefährlich ist

Diese Fehleinschätzung ist nicht nur ein interessantes psychologisches Phänomen – sie kann unser Leben erheblich beeinträchtigen. Menschen, die glauben, sie seien die Einzigen mit negativen Gefühlen, entwickeln:

  • Verstärkte Einsamkeit
  • Übermäßiges Grübeln
  • Geringere Lebenszufriedenheit
  • Das Gefühl, anders oder “falsch” zu sein

Ein Teufelskreis entsteht: Je schlechter wir uns fühlen, desto mehr glauben wir, allein zu sein mit unseren Problemen. Und je mehr wir uns isoliert fühlen, desto schlechter geht es uns.


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Das Geheimnis der negativen Emotionen

Besonders spannend ist ein weiterer Befund der Studie: Fast alle Teilnehmer überschätzten sowohl die Intensität als auch die Häufigkeit negativer Gefühle bei anderen – unabhängig vom eigenen Befinden. Das liegt daran, dass wir negative Emotionen bei anderen besser wahrnehmen als positive. Schlechte Laune fällt auf, gute Stimmung wirkt oft unauffällig.

Was du konkret tun kannst

Was kannst du konkret tun, um aus dieser emotionalen Falle herauszufinden?

1. Bewusst machen statt verdrängen Mache dir bewusst, dass deine Wahrnehmung der Gefühle anderer von deinem eigenen Zustand gefärbt ist. Frage dich: “Wie geht es mir gerade? Könnte das meine Einschätzung beeinflussen?”

2. Nachfragen statt annehmen Statt zu mutmaßen, wie es anderen geht, frage direkt nach. Du wirst überrascht sein, wie oft deine Vermutungen falsch waren.

3. Eigene Gefühle teilen Sprich über deine eigenen emotionalen Erfahrungen. Oft wirst du feststellen, dass andere ähnliche Gefühle kennen. Das durchbricht die Illusion, allein zu sein.

4. Realitätscheck entwickeln Erinnere dich daran: Negative Emotionen sind normal und weit verbreitet. Jeder Mensch kennt Traurigkeit, Angst und Frustration. Du bist nicht die Ausnahme.

Der Mut zur emotionalen Ehrlichkeit

In unserer Gesellschaft herrscht oft die Illusion, dass alle anderen glücklich und erfolgreich sind. Social Media verstärkt diesen Eindruck noch. Aber die Wahrheit ist: Jeder kämpft mit seinen eigenen Herausforderungen. Jeder kennt dunkle Momente. Die Studie zeigt uns: Wir sind nicht allein mit unseren Gefühlen. Wir denken nur, wir seien es. Und das ist ein entscheidender Unterschied.

Ein neuer Blick auf das Miteinander

Diese Erkenntnis kann dein Leben verändern. Sie kann zu mehr Empathie führen, zu besseren Beziehungen und zu einem realistischeren Selbstbild. Wenn du das nächste Mal denkst, du seist die Einzige mit Problemen, erinnere dich an diese Studie. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die scheinbar sorgenfreie Person neben dir gerade ähnliche Gefühle erlebt.

Die Kraft der Perspektive

Unsere Gefühle sind wie eine Sonnenbrille – sie färben alles, was wir sehen. Aber im Gegensatz zu einer Sonnenbrille können wir diese “Brille” nicht einfach abnehmen. Wir können jedoch lernen, bewusster mit ihr umzugehen. Wir sind alle emotionale Wesen, die ähnliche Erfahrungen machen. Das zu verstehen ist der erste Schritt zu mehr Verbundenheit und weniger Einsamkeit in unserer Welt.

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