Leben

Über Autoschlüssel, Untreue und Versteckspiele

Die Alltagsphilosophie-Kolumne exklusiv bei Minerva VISION:

Denken hilft auch nicht – Alltagsbeobachtungen mit Tiefgang


Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber ich führe eine komplizierte Beziehung mit meinem Autoschlüssel. Das Problem: Er ist untreu. Obwohl ich ihn jeden Abend brav an den gleichen Platz lege – immer rechts neben die Kaffeemaschine, seit Jahren das gleiche Ritual – ist er morgens weg.

Du kennst das bestimmt. Abends legst du ihn hin und denkst: “Perfekt, morgen weiß ich, wo er ist.” Morgens stehst du da und der Platz ist leer. Als hätte sich der Schlüssel in Luft aufgelöst. Oder als hätte er beschlossen, die Nacht woanders zu verbringen.

Dann beginnt das große Suchen. Küche: nicht da. Wohnzimmer: Fehlanzeige. Schlafzimmer: nada. Und während du suchend durch die Wohnung irrst, wird dir klar: Du führst eine Beziehung mit einem Gegenstand, der dich systematisch zur Verzweiflung bringt.

Das Perfide ist: Der Schlüssel versteckt sich nie kreativ. Nie im Kühlschrank oder in der Blumenvase. Immer nur fünfzig Zentimeter neben seinem eigentlichen Platz. Mal auf der Fensterbank, mal unter dem Terminkalender, mal zwischen den Kochbüchern. Als würde er sagen: “Siehst du? Ich bin da. Du bist nur zu doof zum Suchen.”

Und weißt du, was das zeigt? Ordnung ist eine Illusion. Du kannst noch so systematisch sein, noch so viele Regeln aufstellen – die Realität macht trotzdem, was sie will. Mein Autoschlüssel ist der beste Beweis dafür, dass das Chaos immer gewinnt. Subtil, aber hartnäckig.

Manchmal frage ich mich, ob der Schlüssel nachts kleine Ausflüge macht. Vielleicht trifft er sich mit anderen heimatlosen Gegenständen zu einer geheimen Selbsthilfegruppe. “Hi, ich bin ein Autoschlüssel und ich verstecke mich zwanghaft.” “Hi Autoschlüssel!”

Neulich habe ich kapituliert und mir einen Schlüsselfinder gekauft. So ein Ding, das piept, wenn man draufdrückt. Funktioniert perfekt. Das Problem: Jetzt finde ich den Sender nicht.

Inzwischen habe ich aufgegeben. Ich plane morgens einfach zehn Minuten Suchzeit ein. Das ist mein tägliches Versteckspiel, meine kleine Morgenmeditation. Während andere Yoga machen oder joggen, suche ich meinen Autoschlüssel. Jeder hat so seine Rituale.

Was absurd ist: Ich könnte einen Ersatzschlüssel machen lassen. Aber dann hätte ich das Problem doppelt. Zwei Schlüssel, die sich verstecken. Das wäre wie bei Gremlin – niemals füttern, niemals vermehren.

Die Lehre?
Manche Dinge im Leben lassen sich nicht kontrollieren. Du kannst noch so ordentlich sein – es gibt immer diesen einen Gegenstand, der deine ganze Systematik sabotiert. Und weißt du was? Irgendwie mag ich ihn dafür.
 

Unser Kolumnist: Karl von Nebenan

Beruf: Irgendwas mit Verwaltung, aber keiner weiß, was er genau verwaltet, Kolumnist | Wohnt: Im Erdgeschoss – seit 1983 | Besonderheiten: Besitzt sieben verschiedene Thermoskannen | Hält Schweigen für eine Form von Respekt – oder Überlegenheit

Teilen