Ernährung

Süßes ohne Reue?

Der Süßstoff Erythrit erhöht womöglich Thrombose- und Infarktgefahr und kann somit besonders für Risikogruppen gefährlich werden. Wer aufpassen muss und wo das Zeug überall drin steckt. 

Süßes ohne Reue? Wer das erfindet, wird die Welt beherrschen. Spaß beiseite. Der häufig verwendete Süßstoff „Erythrit“ gilt als natürliche und gut verträgliche Alternative für Zucker. Zugleich steht der Zuckerersatzstoff unter Verdacht, die Gefahr für Thrombosen und Infarkte zu erhöhen. 

Was ist dran? 

Ärzte haben anhand von Blutproben bei mehr als 4.000 Probanden zeigen können, dass eine hohe Dosis Erythritol im Blut das Risiko von Thrombosen erhöht. „Ein Zusammenhang zwischen Süßstoffkonsum und Herz- und Gefäßereignissen war zwar aufgrund von epidemiologischen Studien vermutet, jedoch bis dahin nur unzureichend untersucht worden“, erklärt der Arzt und Wissenschaftler Dr. Witkowski zur Studie.

Wo ist es drin?

Zuckerersatzstoffe werden zum Beispiel in großen Mengen von der Nahrungsmittelindustrie in hochverarbeiteten Lebensmitteln verwendet, um deren Zucker- und Kaloriengehalt zu reduzieren. Also in Light-Produkten. Mediziner sehen besonders kritisch, dass die Industrie den Süßstoff besonders Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, Adipositas) als eine zucker- und kalorienreduzierte Option empfiehlt. Denn diese Personen weisen aufgrund ihrer Vorerkrankungen bereits ein erhöhtes Thromboserisiko auf.


Was heißt das?

„Die Ergebnisse verdeutlichen, dass besonders für vulnerable Personen hochverarbeitete Lebensmittel, die den Zuckersatzstoff Erythrit enthalten, Gesundheitsrisiken bergen können“, betont der Kardiologe Prof. Dr. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.


Hintergrund: Diskussion über Sicherheit von Zuckerersatzstoffen

Die Deutsche Herzstiftung vergibt alljährlich den Wissenschaftspreis der Josef Freitag-Stiftung gemeinsam mit dem DGK-Zentrum für kardiologische Versorgungsforschung (DGK-ZfkVF). Ausgezeichnet wird eine wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Versorgungsforschung von Herz- und Kreislauf-Erkrankungen. Die Arbeit von Dr. Witkowski und Kollegen hatte nach ihrer Erstveröffentlichung 2023 eine große öffentliche Diskussion über die Sicherheit von Zuckerersatzstoffen ausgelöst.
Erythrit wird aus Mais gewonnen und gerne als Zuckeraustauschstoff genutzt, da die Substanz nahezu frei von Kalorien ist und den Blutzucker- und Insulinspiegel nicht beeinflusst – wodurch das Süßungsmittel auch für Menschen mit Diabetes mellitus attraktiv ist. In natürlicher Form kommt Erythritol in verschiedenen Lebensmitteln vor wie Pilzen oder Pistazien.

Daten zur Sicherheit von Süßstoffen fehlen

Bislang wurde davon ausgegangen, dass die Substanz zwar in die Blutbahn aufgenommen wird, aber dann wieder nahezu vollständig über die Nieren ausgeschieden wird. Es fehlten Studien, die einen Zusammenhang zwischen Süßstoffen und kardiovaskulären Ereignissen untersuchten. „Damit bleibt unklar, welche Süßstoffe potenziell gefährlich für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren sind“, erklärt Dr. Witkowski.
In der prämierten Studie unter Beteiligung der DHZC-Forscher wurden nun über drei Jahre hinweg mehr als tausend Personen mit einem hohen Risiko für Schlaganfall oder Herzinfarkt beobachtet und mit unabhängigen Patientenkohorten aus den USA (über 2100 Personen) und Deutschland (über 830 Personen) verglichen. Bei Teilnehmern, bei denen es in dieser Zeit zu Schlaganfall, Herzinfarkt oder gar Tod kam, wurde im Blut ein erhöhter Erythritol-Spiegel festgestellt. In einem Laborversuch wurde zudem nachgewiesen, dass der Zuckeraustauschstoff die Blutgerinnung und damit die Bildung von Gerinnseln (Thromben) beschleunigte.
In einer weiteren kleinen Studie haben Dr. Witkowski und sein Team die Konzentration im Blut direkt nach dem Konsum von Erythritol in acht gesunden Studienteilnehmern gemessen. „Die Einnahme von Erythritol führte zu einem starken und mehrere Tage anhaltenden Anstieg der Erythritolspiegel im Blut. Dieser lag deutlich über den Schwellenwerten, die mit einem erhöhten Thrombosepotenzial in den vorherigen Untersuchungen verbunden war“, erklärt der Wissenschaftler.


Noch viele Fragen offen, weitere Studien nötig

Wissenschaftler, die nicht an der Studie beteiligt sind, bewerteten die Ergebnisse mit Zurückhaltung, da zu viele Fragen noch offen seien. Vielmehr sollten die Daten als wichtiger Hinweis genutzt werden, Erythritol wie auch andere Zuckerersatzstoffe in umfassenden Langzeituntersuchungen weiter unter die Lupe zu nehmen. Bis dahin muss auf Zuckeraustauschstoffe nicht verzichtet werden, sie sollten allerdings generell nur in mäßigen Mengen konsumiert werden.
In seiner Arbeitsgruppe möchte Dr. Witkowski nun Süßstoffe und andere Nahrungsmittelbestandteile „systematisch auf ihre thrombogenen Effekte untersuchen“. Ziel sei, „Patienten – insbesondere jene mit kardiometabolischen Erkrankungen wie Diabetes oder Adipositas – besser über Risiken aufklären zu können und Gefäßkomplikationen zu vermeiden“, erklärt der prämierte Arzt und Wissenschaftler.

Ist der Süßstoff Xylit besser? 

Leider nein. Höhere Xylit-Werte im Blut sind offenbar ebenfalls mit einem deutlich erhöhten Risiko für schwere Herzerkrankungen und Schlaganfälle verbunden, zeigt Dr. Witkowski. Xylit, auch bekannt als „Birkenzucker“ soll eine karieshemmende Wirkung haben, kommt auch in geringen Mengen in Obst oder Gemüse vor und wird deshalb als „natürlicher“ Süßstoff beworben. „Unsere Forschung… zeigt, dass Süßstoffe… nicht unbedingt die harmlose Zuckeralternative sind – insbesondere für Menschen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Risiken -, für die sie oft gehalten werden“ wird Dr. Witkowski in einer DHZC-Meldung zitiert. 



Quelle: Witkowski, M. et al. The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk. Nat Med 29, 710–718 (2023).  https://doi.org/10.1038/s41591-023-02223-9

Dr. med. Marco Witkowski, Facharzt für Kardiologie an der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin des Deutschen Herzzentrums der Charité (DHZC), Campus Benjamin Franklin.

Deutsches Herzzentrum der Charité (DHZC)


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