Projektprüfung
So gesehen … | Die Kolumne von Anna Maria Ram.
Es ist so weit: Alle Jahre wieder finden an unserer pittoresken Brennpunktschule die Projektprüfungen statt!
Und wer denkt, dass die Oscarverleihung, die ich aufgrund erhöhtem Entspannungsmankos nahezu jedes Mal verschlafe, spannend ist, der geselle sich gerne einmal zu unserem Haufen Buntes in einer Prüfungssituation hinzu und genieße die spektakulären, von KI- kreierten Vorträge, gespickt mit Weisheiten zu Atatürks Neffen seinem Großonkel und warum Drogen (offensichtlich!!!) gesundheitsgefährdend sind.
Ein Highlight, wenn man zum 15. Mal in Folge erklärt bekommt, wie Muhammad Ali (Boxprofi) zum Islam konvertierte, welche Antworten die Jugendlichen auf Google gefunden haben zur Frage „Gibt es Atlantis + Abschlussprüfung“ und warum „Tote Mädchen lügen nicht“ mehr als nur eine Netflix- Serie ist. Dinge, die die Welt bewegen.
Folgt uns auf der Schulhomepage auch für Fotos der ungewöhnlich deformierten Vogelhäuser aus Recyclingmaterial, die der zum Eigenschutz konsequent im Keller agierende Handwerkskollege, mit einer motivierten, tendenziell allerdings eher mäßig anwesenden Gruppe Hauptschüler zusammengezimmert hat, verziert mit orientalischen Ornamenten, oder der Aufschrift „Emres Shisha Paradies“.
Wenn es einen Wettbewerb gibt, so wie „Jugend forscht“, könnte ich mir vorstellen, das komplette Kontrastprogramm mit „Jugend lässt es liegen“, oder „Jugend bricht ab“, abzudecken. Nicht falsch verstehen, ich weiß die Bemühungen um glaubwürdige Atteste exakt zum Prüfungstermin und die von der älteren Schwester liebevoll mit Glitzerherzen verzierten Plakate zum Thema „Rassismus in deutschen Supermärkten“ durchaus zu schätzen. Denn sind wir mal ehrlich: Niemand ist gerne in einer Prüfungssituation.
Da hilft es auch nicht, wenn ich als Prüferin die vorher vereinbarten Sichtzeichen für „Langsamer reden“ (drei Mal blinzeln) und „Zeig auf die Folie“ (einmal mit dem Kugelschreiber tippen) durcheinanderbringe und ein völlig verwirrter Prüfling eine Mischung aus grobmotorischem Breakdance und halb gerappten Text mit panisch erweiterten Pupillen und Niagarafall-artigen Schweißausbrüchen exerziert.
Die Projektprüfung ist nun mal leider in Hessen Teil der Hauptschulprüfung. Wie der Name schon sagt, stellen die Schüler in Kleingruppen (obwohl es bei der unregen Teilnahme eher Kleinstgruppen heißen sollte) theoretisch und praktisch vorbereitete Themen vor, wie eine Art benotetes Gruppenreferat mit höherem Anspruch. Vornehmlich sollten dabei Schwerpunkte aus Nebenfächern gewählt werden, in denen die Kids versuchen ihre Noten aufzubessern. Oftmals kommen auch richtig interessante Projekte dabei heraus.
So zum Beispiel die „Orientalische Küche“. Wenn die Mütter dann zum Prüfungstag das Baklava aus der Heimat einfliegen lassen und ich den bombastischsten Hummus aller Zeiten mit einer Suppenkelle aus einem Fünf-Liter-Eimer schöpfen darf, fällt die im Anschluss sehr seicht ausfallende Bewertung bei einer Tasse Chai durchaus leichter.
Und damit jetzt niemand denkt ich sitze da am Prüfungstag nur schnatternd und mit einem Stapel Tupperdosen herum, dem muss ich an dieser Stelle noch anfügen: Es gibt solche und solche Prüfungen. Für eine Vorrunde von „Jugend versucht zu forschen – oder zumindest bei Google ordentlich zu buchstabieren“, würde es reichen.
Jetzt gehe ich erst einmal ein Baklava essen und einen Chai trinken.
Einen schönen, humorvollen Tag, nicht alles so ernst nehmen, wie es anfangs erscheint, in wirklich jeder Sache steckt ein Lichtblick, auch wenn man ihn manchmal etwas länger suchen muss!
Anna Maria Ram arbeitet als Pädagogin im hessischen Schuldienst. Dabei begleiten sie phasenweise ihre Deutschen Boxer, alle aus dem Tierschutz, in Klassen mit besonderen Ansprüchen und Lernschwierigkeiten. Anna Maria ist ebenfalls Buchautorin. Ihr Buch „Die anderen sind eh schlauer als uns!“ erscheint im Minerva Verlag. Für das Magazin „HundeWelt“ schreibt sie regelmäßig ihre eigene Kolumne. Hier auf Minerva VISION liegt ihr Schwerpunkt auf den Skurilitäten des Alltags.
