Kreativ

Online-Kunst hilft gegen Angst

Eine neue Studie zeigt, wie und warum sich Online-Kunstbetrachtung positiv auf das psychische Wohlbefinden auswirkt. | Kunst hat schon immer eine zentrale Rolle in meinem Leben gespielt. Kein Museum ist sicher vor mir. Zum Leidwesen meiner Kinder. Durch Corona habe ich entdeckt, wie glücklich mich Online-Kunst macht. Offenbar kommen Forscher zum gleichen Schluss. 

Ich weiß nicht genau, wann meine Leidenschaft für Gemälde entstand. Aber es war auf jeden Fall ab der Pubertät, so mit 15 oder 16. Ich schaue mir ein Bild an und tauche dort ein. Verliere mich darin und bin dann genau dort. Ich sitze dann am Seerosenteich von Monet, spüre die Wärme der Sonne auf meiner Haut und der würzige Duft frischen Waldbodens steigt in meine Nase. Meine Vorstellung ist so lebhaft, dass ich sogar in die Epoche eintauche und begreife, wie die Menschen damals gelebt haben. Gemälde von Seeschlachten lassen mich schaudern. Und im Louvre hatte ich die Mona Lisa schnell abgehandelt. Dafür stand ich ewig vor dem „Floß der Medusa“. Das Gemälde illustriert in erschütternd realistischen Details die Folgen von Hunger, Dehydration und Kannibalismus. Es basiert auf einer wahren Begebenheit: einem Schiffswrack, das über 100 Seeleuten das Leben kostete. Die dargestellten Überlebenden, die sich verzweifelt an ein Rettungsfloß klammern, sind ein Inbegriff von grausamer Verzweiflung. 

Géricaults intensive Recherche für dieses Bild beinhaltete Besuche in Krankenhäusern und Leichenschauhäusern, um die blasse Todesfarbe der Sterbenden authentisch darstellen zu können. 

Die Kritiken waren bereits damals gemischt: Einige waren entsetzt, andere lobten die Ausdruckskraft. 

Und heute gilt es als ikonisches Werk der französischen Kunstgeschichte und bleibt ein bedeutendes Beispiel für die emotionale Tiefe und den Realismus der Romantik.
Ihr merkt, Kunst macht was mit mir. Und deshalb bin ich auf Städtereisen immer in mindestens einem Museum. Die Kinder? Mussten mit. Mein Mann natürlich auch. Im Gegensatz zu den Kindern hat er aber seine Mimik besser im Griff. Ich habe Fotos, auf denen ich vor den Sonnenblumen van Goghs in der Londoner Nationalgalerie versinke, während die Kinder erschöpft und missmutig auf den Sitzen davor zusammenbrachen. Und während Corona? Als Distanz zu unserem Alltag wurde, betrachtete ich Kunstwerke auf dem Bildschirm. Aber würde das genauso wirken? Bei mir war es so. Und bei 240 anderen Menschen auch. Die wurden von Forschungsteams der Universität Wien, des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen und des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main untersucht. Ich wurde leider nicht gefragt, hätte aber gerne mitgemacht. (Also: Falls das jemand liest, der Kunst erforschen will: Meldet euch bei mir, ich bin eure Frau!) 

Diese 240 Teilnehmer betrachteten eine interaktive Monet-Seerosen-Kunstausstellung. 

Sie füllten Fragebögen aus, die Aufschluss über ihren Gemütszustand, das empfundene Vergnügen beim Anschauen der Bilder und die Bedeutsamkeit der Erfahrung gaben. Das Ganze war ein Riesenerfolg. 

Die Ergebnisse zeigten eine deutliche Verbesserung der Stimmung und der Angstreduktion bereits nach wenigen Minuten des Betrachtens. „Das Betrachten von Kunst online ist eine ungenutzte Quelle der Unterstützung für das Wohlbefinden, die in mundgerechten Portionen konsumiert werden kann“, sagt MacKenzie Trupp von der Universität Wien. 

Interessanterweise fand die Studie heraus, dass einige Teilnehmer empfänglicher für Kunst waren als andere und daher mehr davon profitierten. Diese Vorteile konnten durch eine Metrik vorhergesagt werden, die als „ästhetische Ansprechbarkeit“ bezeichnet wird. Dazu sagt Edward A. Vessel vom MPIEA: „Ästhetische Ansprechbarkeit beschreibt, wie Menschen auf diverse ästhetische Reize, wie Kunst und Natur, reagieren. Die Ergebnisse zeigten, dass Individuen mit hohen Niveaus an Kunst- und ästhetischer Ansprechbarkeit mehr von der Online-Kunstbetrachtung profitieren, da sie angenehmere und bedeutungsvollere Kunsterfahrungen haben“, erklärt Edward A. Vessel vom MPIEA, Entwickler des Aesthetic Responsiveness Assessment (AreA). 

Das wusste ich schon vorher.

Ich verweise da auf meine Erfahrung, und die Art, wie meine Kinder auf Kunst reagierten. Ich bin da offenbar anders. Für mich hat Kunst Wohlfühlpotenzial. Und wer genau so ist wie ich, der kann seine Stimmung beeinflussen, indem er sich ab und an am Tag ein paar Minuten gönnt, um online ein Kunstwerk zu betrachten. Damit ihr euch testen könnt, haben wir für euch ein paar Gemälde generiert. Sie sind im Stil des Impressionismus und sollen natürlich an die Kunstwerke von Monet erinnern, da die Studie auch Monet-Bilder verwendete. 

Claude Monet, einer der Hauptvertreter des Impressionismus, war ein Meister der Darstellung von Licht und Atmosphäre. Er malt etwas verschwommen, und lässt dadurch Raum für unsere Vorstellungskraft, die Bilder durch eigene Interpretationen zu vollenden. Anders als bei einem Foto, das Realität vollendet, fühlt hier jeder etwas anderes bei der Betrachtung. Monet war besonders fasziniert von den verschiedenen Stimmungen, die das Licht zu unterschiedlichen Tageszeiten schafft. 

Der eine Betrachter mag das heitere Glitzern des Teiches, der andere spürt angesichts des gleichen Bildes eine nahende Unwetterfront. 

Und so kommen wir in Kontakt mit unserem Inneren, dem Unbewussten. Im Grunde genommen ist dieser Kontakt das, was Freud mit seiner Psychoanalyse versucht. Alleine durch das Wahrnehmen der in uns schlummernden unbewussten Gefühle können wir ein tieferes Verständnis für das entwickeln, was uns antreibt. Natürlich kann eine solche Konfrontation emotional herausfordernd sein, sie bietet aber auch die Möglichkeit zur emotionalen Entlastung und Heilung. Denn alleine das Wahrnehmen ist 80 % der Heilung. Die Verarbeitung von unterdrückten Gefühlen und Erinnerungen geschieht danach oft von alleine und der Prozess verringert Ängste, heilt Depressionen und emotionale Belastungen, macht uns freier und vollkommener. 

Wer also das Glück hat, sich durch Kunst berühren zu lassen, spart sich womöglich einen Besuch beim Psychoanalytiker. Kunst kann heilen und glücklich machen. 

Quelle: Trupp, M. D., Bignardi, G., Specker, E., Vessel E. A., & Pelowski, M. (2023). Who Benefits From Online Art Viewing, and How: The Role of Pleasure, Meaningfulness, and Trait Aesthetic Responsiveness in Computer-Based Art Interventions for Well-Being. Computers in Human Behavior, 145, 107764.
https://doi.org/10.1016/j.chb.2023.107764

Titelbild: MPI for Empirical Aesthetics / F. Bernoully


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