
Für mich ist Glück ein tiefes Blau
Eine Reise zu sich selbst beginnt immer mit dem ersten Schritt. Auch wenn man noch nicht weiß, wohin er führt, sagt Wirtschaftspsychologin Theresa Lindner. Sie beschreibt einen Moment , den wir alle kennen könnten, wenn wir ehrlich sind. Wenn einem das Leben plötzlich zu eng wird wie ein alter Wintermantel. Und man merkt: Da ist noch etwas anderes. Etwas, das darauf wartet, entdeckt zu werden. Es ist das Wiederfinden einer Sprache, die man nie ganz vergessen hat. Es ist, als würde man nach Jahren zum ersten Mal wieder das Meer riechen und denken: Ach so. Das war es. Das habe ich vermisst, ohne es zu wissen.
Ein leichtes Anklopfen. Im Innersten. Ein flaues Gefühl im Magen. Und langsam begreift auch der Kopf: Hier stimmt irgendetwas nicht. Irgendetwas muss sich verändern. Aber was?
Man beginnt, sein Leben zu scannen.
Job? Beziehung? Wohnort? Hobbys? Passt eigentlich alles. Eigentlich. Und doch gibt es manchmal eine leise Ahnung, dass man irgendwo falsch abgebogen sein könnte. Hat man etwas übersehen? Etwas verpasst? Ich arbeite als Wirtschaftspsychologin sehr viel mit Menschen in beruflichen Veränderungsprozessen, man könnte sagen, ich bin den Wandel gewohnt. Und doch hat es mich überrascht, als sich auch bei mir dieses Gefühl einstellte. Bei mir hat es nicht geflüstert, es hat geschrien: Lass die Kreativität wieder ins Leben. Und ich bin dem Gefühl gefolgt. Ich schreibe. Ich fotografiere. Ich male. Ja – ich habe die Farben wieder gefunden. Und ich fand heraus: Für mich ist Glück ein tiefes Blau. Da war also diese kreative Seite, die sich nach all den Jahren wieder zeigte.
Jetzt wurde es spannend.
In der Psychologie gibt es den Begriff der narrativen Identität. Wir erzählen fortlaufend eine Geschichte über uns selbst. Über unsere Vergangenheit, über unsere Gegenwart, über unsere mögliche Zukunft. Wer sind wir, wenn wir anderen von uns erzählen? Und, was ich viel spannender finde, wer sind wir, wenn es leise wird? Wenn niemand da ist, dem wir eine Geschichte erzählen können? Ich glaube, dass hier die größte Chance liegt, zu erkennen, wer man ist und wer man sein möchte. Manchmal haben wir das Gefühl, unsere Träume sind zu groß, zu unrealistisch, schlicht unerreichbar.
Vielleicht hilft es, sich folgende Fragen zu stellen:
Wo stehe ich jetzt gerade?
Wo möchte ich hin?
Was muss ich tun, damit ich meinem Traum einen Schritt näher bin?
Auch, wenn der Schritt noch so klein ist. Die Wege gehen sich viel leichter, wenn man sich zunächst nur auf den nächsten Schritt konzentriert. Und dann geht man den nächsten. Und den nächsten. Und irgendwann, wenn man sich umdreht und zurückblickt, bemerkt man plötzlich, dass man schon ein ganzes Stück weit gelaufen ist.
Berge? Hindernisse? Die kommen.
Und manchmal verändert sich sogar das Ziel auf der Reise. Die schönste Erkenntnis für mich ist aber eine andere: Vielleicht braucht man nicht mal ein Ziel. Vielleicht sollte man einfach loslaufen. Auf den Bauch hören, welche Richtung sich gut anfühlt. Bei welcher Abzweigung ist der Widerstand im Bauch am kleinsten? Gibt es vielleicht sogar einen Weg, der dir das Gefühl gibt, frei und leicht zu sein? Einen Weg, der dich erfüllt, der Schmetterlinge im Bauch erzeugt, der dich dazu bringt, im Regen tanzen zu wollen?
Das Schöne am sich selbst verlieren ist nämlich folgendes: Man kommt vom Weg ab. Man muss die Augen wieder öffnen, einen Wegweiser suchen, vielleicht sogar einen neuen Weg bauen. Das Gestrüpp entfernen, den Untergrund testen. Und ja, vielleicht findet man sich plötzlich selbst. An einer Stelle, an der man vorher nicht gesucht hat.

Hier schreibt: Theresa Lindner ist Wirtschaftspsychologin, freie Lehrbeauftragte für Wirtschaftspsychologie und Autorin. Ihre Schwerpunktthemen sind Positive Psychologie und Potentialentfaltung. Sie führt einen schönen Instagram-Account: @theresas_welt_der_poesie. Reinschauen lohnt sich.