Je mehr Streit, desto besser
Warum sind Serien wie „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ so erfolgreich? Die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Sarah Kohler fragt danach, warum das Publikum so gerne zusieht, wenn sich B- bis Z-Promis im Dschungel streiten und Kakerlaken essen. Schenkt uns einen Augenblick und bildet euch eure Meinung.
Das Dschungelcamp läuft wieder.
Und da kann es schon mal passieren, dass in den sozialen Medien täglich in bitterbösen Kommentaren das Geschehen auf den Bildschirmen kommentiert wird. Jeder scheint eine Meinung zu haben und gibt sie auch gerne preis. Was hält uns da atemlos vor dem Bildschirm? Sarah Kohler, Forscherin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, hat schon an ihrer vorherigen Arbeitsstelle an der Universität Münster damit begonnen, sich aus kommunikationswissenschaftlichen Gesichtspunkten mit dem Dschungelcamp zu beschäftigen. Insbesondere soziologische Aspekte seien hierfür interessant, sei für sie doch der Konflikt der entscheidende Moment für das Zuseherinteresse: „Der Sender muss stets danach trachten, möglichst viele Konflikte zu ermöglichen oder zu schüren. Das Instrument dabei sind die Dschungelprüfungen, deren Bestehen oder Nicht-Bestehen unmittelbare Auswirkungen auf die Gruppe und deren Dynamik haben. Wenn es beispielsweise nichts zu essen gibt, weil sich jemand geweigert hat, in Krokodilhoden zu beißen, entsteht eine gewisse Brisanz.“ Deshalb sei die Auswahl der mehr oder weniger prominenten Dschungelbewohnerinnen und –bewohner auch wesentlich.
Wer authentisch ist, ist langweilig und fliegt raus
„Verhandelt wird im Dschungelcamp Kapital, von der Zigarette bis zur Empathie“, nimmt Sarah Kohler Bezug auf den Soziologen Pierre Bourdieu. Letztlich ginge es aber um die Voting-Stimmen des Publikums, mit Hilfe derer man zur Dschungelkönigin oder zum –könig gewählt werden könne. Authentizität sei dabei nicht immer erfolgversprechend: „Authentizität kann sehr langweilig sein. Wir wünschen uns wohl, dass die Bewohner Wahrhaftigkeit vortäuschen, wir ihnen aber weiterhin das Spielen einer Rolle unterstellen können.“
Krawallmacher werden belohnt
Sarah Kohler ortet in den sozialen Konflikten die wichtigsten Entwicklungschancen für das Format: „Es geht wohl gar nicht mehr darum, die Grenzen des Ekels und der Überwindung bei den Dschungelprüfungen noch weiter zu verschieben, sondern an Konzepten zu feilen, die für den Zuseher interessante Gruppendynamik-Prozesse auslösen.“ Für ihr Fach sei das Dschungelcamp nicht zuletzt daher interessant, weil es mittlerweile zu einem medien- und milieuübergreifenden Ereignis wurde, das selbst von renommierten Formaten kommentiert wird: „Das ist nicht das böse Unterschichtsfernsehen, sondern intelligent gestaltete Unterhaltung. Andere Medien müssen mittlerweile darauf referenzieren, weil ihnen sonst ein Thema des Tagesgeschehens fehlen würde.“
Brot und Spiele
Woran erinnert uns das? „Das römische Volk ist völlig gleichgültig geworden. Früher bestimmte es die Vergabe von Ämtern, Befehlsgewalt und Legionen. Heute besteht darin kein Interesse mehr, das Volk hat nur noch zwei Wünsche: panem et circenses – Brot und Spiele“, sagte Decimus Iunius Iuvenalis, ein römischer Satiriker. Damit brachte er die damalige Situation auf den Punkt. Die römische Bevölkerung, einst aktiv in alle politischen Entscheidungen involviert, interessierte sich nun hauptsächlich für ihr Wohlbefinden. Anstatt sich mit den Leistungen ihrer Politiker zu beschäftigen, unterhielten sie sich über die neuesten Gladiatorenkämpfe. Satt und zufrieden durch großzügige Getreidegeschenke strebten sie nur noch nach Unterhaltung. Das wirft Fragen über die Natur dieser Praktiken auf – und zwar damals wie heute. Sind solche Dinge, wie Bürgergeld und Dschungelcamp lediglich Neuauflagen? Denn damals wurden Brot und Spiele gezielt als machtpolitische Instrumente eingesetzt, die zur Passivität und Entpolitisierung der Bürger führten. Wie kann es sein, dass mehr Menschen eine Meinung über die Bewohner des Dschungelcamps haben, als über die aktuelle Leistung unserer Politiker?
Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, wie Medien unser Interesse und unsere Aufmerksamkeit steuern können. Wer sich nicht gerne manipulieren lassen will, sollte also in der Zukunft genau beobachten, wie er vor den Fernseher gelockt wird. Der Schlüssel zur Freiheit liegt neben uns: Der Knopf auf der Fernbedienung ermöglicht es uns, zu entscheiden, was wir konsumieren, und wie man seine Zeit investiert, um seine Freiheit und Unabhängigkeit zu bewahren.
Was denkt ihr darüber? Schreibt uns eure Meinung. An: redaktion@minerva-vision.de