
„Er geht fremd und ich weiß es.“
Erzähl mir dein Leben:
„Erzähl mir dein Leben“ ist der Ort, an dem Menschen ihre ganz persönliche Geschichte teilen. Ob große Herausforderungen, kleine Freuden, unerwartete Wendungen oder mutige Entscheidungen – hier findet jede Lebensgeschichte ihren Raum. Durch das Erzählen entdecken wir uns selbst und können auch anderen helfen.
Ein Gespräch mit Amelie, 42, über Loyalität, Lügen – und die Frage, wann man den Mund aufmacht.
Minerva Vision:
Amelie, du hast etwas erfahren, das dich zwischen Loyalität und Gewissen gestellt hat. Was ist passiert?
Amelie:
Kurz gesagt? Ich weiß, dass der Mann meiner besten Freundin auf der letzten Mannschaftsfahrt nicht nur fremdgegangen ist – sondern gleich mehrfach. Mehrere Frauen. Mehrere Nächte. Und das alles mit dieser Selbstverständlichkeit, die einen mehr schockiert als der eigentliche Betrug. Alle aus der Mannschaft wissen es – es kommt wohl ständig vor. Und alle schweigen.
Minerva Vision:
Wie hast du das erfahren?
Amelie:
Ich war nicht dabei, aber einer aus dem Team hat geplaudert. Erst so kumpelhaft, so als wäre es witzig. Ich hab gar nicht gelacht. Ich hab nur da gesessen und gedacht: Wie lange geht das schon? Ich habe nachgefragt – und es wurde immer schlimmer. Und ich dachte nur: Oh nein – und ich gehöre jetzt auch zu denen, die es wissen. Und das Schlimme ist: alle, nur nicht er! Er ist ein super Vater, aufmerksamer Mann und er sieht auch nicht so toll aus. Das hätte ich ihm niemals zugetraut!
Minerva Vision:
Was war dein erster Impuls?
Amelie:
Wut. Entsetzen. Dann Ohnmacht. Und dann diese unangenehme Frage: Was mache ich jetzt damit?
Ich meine, das ist ja nicht mein Mann. Nicht mein Leben.
Aber meine Freundin. Meine engste Freundin.
Die sitzt mir gegenüber, schenkt ihm blind ihr Vertrauen – und ich weiß, dass er es ausnutzt und schon immer getan hat.
Minerva Vision:
Hast du mit ihm gesprochen?
Amelie:
Ja. Und es war… wie eine Pressekonferenz mit einem PR-Berater. Er hat nicht geleugnet – aber auch nicht gestanden.
Nur gesagt: „Es hatte nichts zu bedeuten. War ‘ne schwierige Phase. Männer machen Fehler.“
Ich hab gesagt: „Fehler? Das ist ein absoluter Verrat!” Er sah mich nur an und meinte, wenn ich es Petra sagen würde, würde die Familie kaputt gehen. Was sei denn schon dabei? Er wäre ein guter Mann, ein guter Vater, er habe halt nur die Woche im Jahr, in der er einfach mal Mann sein könnte.
Minerva Vision:
Und deiner Freundin – hast du es gesagt?
Amelie:
Noch nicht. Ich hab’s mehrfach fast getan. Aber dann sehe ich sie, wie sie überlegt, ob sie ihm ein Überraschungswochenende schenkt, oder wie sie ihm eine neue Mütze kauft, weil er seine verloren hat – und ich friere innerlich ein.
Ich weiß, wenn ich das sage, wird nichts mehr wie vorher.
Und ich frage mich: Will sie es überhaupt wissen?
Oder bin ich dann die, die nicht die Wahrheit sagt – sondern das Leben zerstört? Und was, wenn sie es erfährt. Bin ich dann nicht eben so schlimm? Ich weiß im Moment nicht weiter.
Der Kommentar von Nina, unserem Selbsthilfe-Coach: Das ist eine Falle.
Der Mann hat dich in eine moralische Falle gelockt: Wenn du es sagst, zerstörst du die Familie. Aber das ist ein Trugschluss. Nicht die Wahrheit zerstört Vertrauen – sondern das, was ihr vorausgeht: der Verrat. Du bist nicht verantwortlich für die Lüge – nur dafür, ob du bereit bist, sie weiter zu tragen
Wie fühlt sich deine Freundin, wenn sie es später erfährt – aber nicht von dir? Kurz gesagt: Wie die letzte, die es kapiert hat.
Und das tut weh. Weil man sich plötzlich nicht nur betrogen fühlt – sondern auch blamiert.
Man denkt: Alle wussten es. Nur ich nicht. Und dann fragt man sich: Bin ich so blind – oder halten mich alle für so zerbrechlich, dass ich’s nicht hätte wissen dürfen?
Und da bist du plötzlich nicht mehr die loyale Freundin – sondern Teil des Schweigekartells. Und das ist nicht fair. Weder dir noch ihr gegenüber. Denn du hast nicht betrogen. Aber du hast auch nichts gesagt. Natürlich ist das schwierig. Klar willst du niemandem das Herz brechen. Aber verschweigen ist auch keine Lösung.
Und mal ehrlich:
Wenn du’s ihr nicht sagst – wer tut’s dann? Ein Kollege? Ein Zettel auf der Windschutzscheibe? Ein besoffener Typ beim Sommerfest?
Dann wird aus einer bitteren Wahrheit eine demütigende.
Und du?
Stehst dann da mit deinem guten Herzen – und einem großen Fragezeichen auf der Stirn:
War Schweigen wirklich liebevoll – oder nur bequem?
„Wenn wir jemandem die Wahrheit vorenthalten, aus Angst, ihn zu verletzen – entscheiden wir heimlich für ihn, was er aushalten kann.
Das ist kein Schutz. Das ist Bevormundung.“
Deine Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. Egal, ob du selbst schreibst oder liest – „Erzähl mir dein Leben“ verbindet uns alle durch das, was uns am meisten ausmacht: unsere Erfahrungen. Du möchtest deine Geschichte erzählen? Dann schreib uns eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.