Spirit

Deine persönliche Brille für die Welt – warum wir alle unterschiedlich sehen

Von Kim Hansson

“Das sehe ich aber ganz anders!” – Wie oft hörst du diesen Satz? In Gesprächen mit Freundinnen, bei Diskussionen mit dem Partner, bei Meinungsverschiedenheiten mit den Kindern. Manchmal denkst du dir: “Lebt die in einer anderen Welt?” Die verblüffende Antwort: Ja, tut sie! Wir alle leben in unserer ganz eigenen, persönlichen Welt – und das ist völlig normal.

Lass mich dir erklären, warum du und deine beste Freundin dasselbe Event völlig unterschiedlich erleben können, ohne dass eine von euch “falsch” liegt.

Dein Gehirn – der ultimative Filter

Stell dir vor, dein Gehirn wäre wie der Türsteher eines exklusiven Clubs. Jede Sekunde stehen 11 Millionen Eindrücke vor der Tür und wollen rein. Aber drinnen ist nur Platz für 40. Wer kommt rein? Das entscheidet dein ganz persönlicher Türsteher – dein aktuelles Bewusstsein.

Dieser Filter ist unglaublich wählerisch. Er lässt nur das durch, was gerade zu deiner Stimmung, deinen Erfahrungen, deinen Sorgen oder Freuden passt. Der Rest? Wird einfach übersehen, als wäre er gar nicht da.

Die Welt ist nicht konstant – du machst sie

Hier kommt das Verblüffende: Die Welt ist nicht einfach da, wie sie ist. Sie ist für dich so, wie du dich gerade fühlst. An einem sonnigen Tag nach einer guten Nachricht siehst du überall lächelnde Gesichter und schöne Details. An einem grauen Tag nach einem Streit bemerkst du hauptsächlich mürrische Menschen und hässliche Ecken.

Beide Welten existieren zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Aber deine persönliche Brille entscheidet, welche du siehst.

Warum deine Freundin eine andere Realität erlebt

Kennst du das? Du gehst mit deiner besten Freundin shoppen. Du siehst überall tolle Angebote und hilfsbereite Verkäufer. Sie beschwert sich über überteuerte Preise und unfreundliches Personal. Ihr wart im selben Laden – aber habt völlig unterschiedliche Welten erlebt.

Das liegt daran, dass jede von euch eine andere “Brille” trägt. Deine Brille ist eingefärbt von deinen Lebenserfahrungen, deinem aktuellen Körperzustand, deinem Wissen, deinen Zielen, deinen Bedürfnissen und deinen Emotionen. Ihre Brille hat eine ganz andere Tönung.

Die Macht deiner unsichtbaren Brille

Diese persönliche Brille ist mächtiger, als du denkst. Sie bestimmt nicht nur, was du siehst, sondern auch, was du glaubst und wie du handelst. Wenn du gerade traurig bist, wirst du besonders empfänglich für alle Informationen, die bestätigen, dass das Leben schwer ist. Wenn du verliebt bist, siehst du überall Herzchen und romantische Momente.

Deine Brille ist wie ein unsichtbarer Magnet, der genau die Erfahrungen anzieht, die zu deiner aktuellen Sichtweise passen.

Warum Streit oft sinnlos ist

Jetzt verstehst du vielleicht, warum manche Diskussionen so frustrierend sind. Du und dein Gegenüber schaut durch völlig verschiedene Brillen auf dasselbe Ereignis. Für dich ist es sonnig, für sie regnerisch. Beide habt ihr recht – aus eurer jeweiligen Perspektive.

Wenn dein Partner sagt: “Du siehst das völlig falsch!”, dann stimmt das nicht. Du siehst es anders. Und das ist ein wichtiger Unterschied.

Die Höhle, in der wir alle leben

Es gibt eine alte Geschichte von Menschen, die ihr ganzes Leben in einer Höhle verbracht haben. Sie sehen nur Schatten an der Wand und halten diese für die Realität. Die wahren Gegenstände, die diese Schatten werfen, haben sie nie gesehen.

So geht es uns oft auch. Wir sehen nur die “Schatten” – die gefilterte Version der Welt durch unsere persönliche Brille. Und wir halten diese Schatten für die ganze Wahrheit.


Weitere Themen:

Deine Brille ist gefärbt von…

Deinen Erfahrungen: Wer schon mal schlechte Erfahrungen mit Hundebesitzern gemacht hat, wird eher die rücksichtslosen sehen als die verantwortungsbewussten.

Deiner Stimmung: An einem guten Tag findest du das Chaos deiner Kinder kreativ. An einem schlechten Tag nervt es dich.

Deinen aktuellen Sorgen: Wenn du Geldsorgen hast, bemerkst du überall Preise und teure Dinge. Wenn du entspannt bist, fallen dir die kostenlosen schönen Momente auf.

Deinen Zielen: Planst du ein Kind, siehst du plötzlich überall Schwangere und Babys. Suchst du ein neues Auto, fallen dir auf einmal alle roten Cabrios auf.

Das Wunderbare an der Brillen-Vielfalt

Stell dir vor, wir würden alle durch dieselbe Brille schauen. Wie langweilig wäre das! Die Vielfalt der Wahrnehmungen macht das Leben erst interessant. Deine Freundin sieht Dinge, die du übersiehst. Dein Partner hat Blickwinkel, die dir nie eingefallen wären.

Diese verschiedenen Perspektiven sind ein Geschenk, nicht ein Problem.

Wie du deine Brille bewusst wechseln kannst

Das Geniale ist: Du bist deiner Brille nicht hilflos ausgeliefert. Du kannst sie bewusst abnehmen, putzen oder sogar wechseln. Hier sind ein paar Tricks:

Der Perspektivenwechsel: Frag dich bei Konflikten: “Durch welche Brille könnte die andere Person gerade schauen? Was könnte sie sehen, was ich nicht sehe?”

Die Gefühls-Brille erkennen: Wenn du merkst, dass du nur noch Negatives siehst, frag dich: “Bin ich gerade traurig, gestresst oder müde? Färbt das meine Wahrnehmung?”

Die Brille reinigen: Manchmal hilft es, bewusst nach dem Positiven zu suchen. Nicht um die Probleme zu leugnen, sondern um die Perspektive zu erweitern.

Wenn verschiedene Brillen aufeinandertraffen

In Beziehungen prallen ständig verschiedene Brillen aufeinander. Das kann bereichernd sein – oder frustrierend. Der Schlüssel liegt darin, zu verstehen, dass nicht einer recht hat und der andere unrecht. Beide sehen ihre Version der Wahrheit.

Statt zu sagen: “Du siehst das falsch!”, probiere: “Interessant, ich sehe das ganz anders. Magst du mir erklären, wie du es siehst?”

Die Kunst des Brillenwechsels im Alltag

Mit den Kindern: Wenn dein Teenager sagt, alle anderen dürfen länger ausgehen, sieht er durch die “Ungerechtigkeit-Brille”. Du siehst durch die “Verantwortung-Brille”. Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung.

Mit dem Partner: Er sieht den unaufgeräumten Wohnzimmertisch als entspannte Gemütlichkeit. Du siehst Chaos. Verschiedene Brillen, verschiedene Welten.

Mit Freundinnen: Sie schwärmt von ihrem neuen Hobby, du findest es langweilig. Nicht schlimm – ihr tragt nur verschiedene Interessens-Brillen.

Deine neue Superkraft: Brillen-Bewusstsein

Wenn du verstehst, dass jeder Mensch seine eigene Brille trägt, entwickelst du eine Superkraft: Toleranz. Du wirst neugierig statt sauer, verständnisvoll statt rechthaberisch. Du hörst auf, andere überzeugen zu wollen, dass deine Sicht die einzig richtige ist. Stattdessen wirst du interessiert an den vielen verschiedenen Welten, die um dich herum existieren. Hier ist eine kleine Übung für dich: Achte heute bewusst darauf, durch welche Brille du gerade schaust. Wenn du gestresst bist, bemerkst du andere Dinge, als wenn du entspannt bist.

Und wenn jemand etwas völlig anders sieht als du, denk daran: Er trägt nur eine andere Brille. Seine Welt ist genauso real wie deine – nur eben anders getönt.

Die schönste Erkenntnis

Die schönste Erkenntnis aus all dem? Du bist nicht allein mit deiner Sichtweise, aber du bist auch nicht darauf festgelegt. Du kannst neugierig werden auf andere Brillen, deine eigene bewusst wählen und die Vielfalt der Weltanschauungen um dich herum feiern.

Jeder Mensch, dem du begegnest, trägt eine einzigartige Brille und sieht dadurch eine einzigartige Welt. Das macht das Leben nicht komplizierter – es macht es bunter.

Also: Welche Brille trägst du heute? Und auf welche andere Brille bist du neugierig?


Teilen