Leben

Was uns Gänse über Instagram und TikTok lehren

Oder: Warum die besten Influencer mutig sind, nicht aggressiv

Du scrollst durch Instagram und fragst dich: Warum folgen diesem Menschen eigentlich Millionen von Leuten? Warum diesem und nicht jenem? Die Antwort darauf könnte in einem idyllischen Tal in Österreich liegen, wo Graugänse seit den 1970er Jahren beobachtet werden. Und diese gefiederten Zeitgenossen haben uns einiges über Influencer und Follower zu lehren.

Von Konrad Lorenz zu TikTok

Die Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal ist so etwas wie das Silicon Valley der Verhaltensbiologie. Hier, wo einst Nobelpreisträger Konrad Lorenz seine berühmten Gänse studierte, erforscht heute ein Team um Sonia Kleindorfer, warum manche Gänse zu Influencern werden und andere zu Followern.

Vier Jahre lang dokumentierten die Forscher hunderte kollektiver Abflüge dieser individuell markierten Grauganspopulation. Wer startet? Wer folgt? Und vor allem: Warum? Parallel dazu testeten sie die Persönlichkeiten der Gänse: Wie mutig sind sie? Wie aggressiv? Wie neugierig?

Die Überraschung: Mut schlägt Macht

Das Ergebnis ist verblüffend und widerspricht allem, was wir über Führung zu wissen glauben. Die einflussreichsten Gänse – die, denen andere am häufigsten folgen – waren nicht die aggressivsten oder dominantesten. Sie waren die mutigsten, aber nicht aggressiven. “Die einflussreichsten Influencer waren mutig, aber nicht aggressiv – ein Hinweis auf einen schützenden, nicht dominanten Führungsstil”, so die Studie.

Stell dir vor: Da ist eine Gans, die nicht herumschreit oder andere Gänse mobbt. Stattdessen geht sie einfach mutig voran, erkundet neue Gebiete und sorgt dafür, dass alle sicher ankommen. Und die anderen denken sich: “Der folge ich gerne!”

Erkundungsfreudige Follower

Noch interessanter: Die Follower sind nicht etwa schwach oder passiv. Es sind die erkundungsfreudigsten Gänse! Sie folgen bewusst den mutigen Anführern, weil sie wissen: So entdecken sie neue Möglichkeiten. “Erkundungsfreudige Individuen hingegen tragen zur Entdeckung neuer Möglichkeiten bei – und verbreiten Innovation durch soziales Lernen.”

Das ist wie bei uns Menschen auch: Die besten Follower sind nicht die, die gedankenlos hinterherlaufen, sondern die, die gezielt auswählen, wem sie folgen – weil sie daraus lernen können.

Die tägliche Risiko-Abwägung

“Die Schar steht täglich vor einem Zielkonflikt: Die Sicherheit vertrauter Orte gegen die potenziellen Vorteile unbekannter Gebiete”, beschreibt die Studie das Dilemma jeder Gänsegruppe. Klingt bekannt? Genau das passiert auch in unseren sozialen Medien. Bleibe ich bei den Inhalten, die ich kenne? Oder wage ich mich an etwas Neues?

Die mutigen Gänse lösen dieses Problem, indem sie Sicherheit bei Ausflügen in unsichere Umgebungen bieten. Sie sind wie die Influencer, denen wir vertrauen, weil sie uns nicht nur unterhalten, sondern auch etwas Wertvolles mitgeben.

Ein Paradigmenwechsel

Studienleiterin Sonia Kleindorfer bringt es auf den Punkt: “Diese Forschung hilft zu erklären, warum bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zu dauerhaftem Einfluss führen. Wichtiger noch: Sie lenkt den Blick auf die Follower – eine Gruppe, die in unserer menschlichen Fixierung auf Macht und Ressourcen oft übersehen wird. Was wäre, wenn Follower aktiv entscheiden, wem sie folgen, basierend auf dem Nutzen, den sie daraus ziehen? Das verschiebt den Fokus auf die kognitiven Fähigkeiten der Follower und stellt traditionelle Vorstellungen davon infrage, welche Eigenschaften im sozialen Einfluss zählen.”

Das ist revolutionär! Follower sind nicht passive Konsumenten, sondern aktive Entscheider. Sie folgen nicht dem Lautesten oder Aggressivsten, sondern dem, der ihnen am meisten nützt.

Was das für unsere digitale Welt bedeutet

Übertrag das mal auf Instagram, TikTok oder LinkedIn: Die erfolgreichsten Influencer sind oft nicht die, die am lautesten schreien oder am meisten provozieren. Es sind die, die mutig neue Wege gehen und ihre Follower dabei sicher mitnehmen. Die authentisch sind, ohne aggressiv zu werden.

Und die Follower? Sie sind schlauer, als wir dachten. Sie folgen nicht blind, sondern wählen gezielt aus. Sie suchen sich die mutigen Pioniere, von denen sie etwas lernen können.

Die Gans-Lehre für den Alltag

Was können wir von den Graugänsen lernen?

  1. Mut ist wichtiger als Macht. Du musst nicht der Lauteste im Raum sein, um Einfluss zu haben.
  2. Follower sind intelligent. Sie folgen dir nicht, weil sie müssen, sondern weil du ihnen etwas bietest.
  3. Authentische Führung funktioniert. Menschen (und Gänse) folgen lieber jemandem, der sie beschützt, als jemandem, der sie dominiert.
  4. Innovation braucht beide: mutige Anführer und neugierige Follower.


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Das Fazit aus dem Gänseparadies

Die Graugänse im Almtal zeigen uns: Gute Führung ist nicht aggressiv, sondern mutig. Gutes Folgen ist nicht passiv, sondern aktiv und bewusst. Und die beste Gruppe besteht aus beiden: mutigen Pionieren und erkundungsfreudigen Lernenden.

Vielleicht sollten wir alle mal öfter auf die Gänse hören. Sie sind schon länger auf diesem Planeten als wir – und haben offenbar einiges über das Zusammenleben gelernt.

In diesem Sinne: Sei mutig, sei authentisch – und such dir deine Follower weise aus.

Dein Jonas

P.S.: Die Studie ist im Fachjournal “iScience” erschienen. Falls du beim nächsten Meeting mit Gänse-Weisheiten punkten möchtest.


Hier schreibt Jonas Weber vom Minerva-Vision-Team. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einer Portion Humor vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam. Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.

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