
Superfoods: Was wirklich in deinen Smoothie gehört
Von Tobias Rehm
Der Trend trägt Grün, kommt in Pulverform, und verspricht alles außer Langeweile. Superfoods sind längst keine Modeerscheinung mehr, sondern fester Bestandteil moderner Ernährung. Doch während sich Regale biegen und Influencer pürieren, bleibt eine Frage offen: Was davon taugt wirklich, gesundheitlich, geschmacklich, ökologisch?
Ich habe getestet, gesprochen, geschluckt, und dabei nicht nur Beeren gemixt, sondern Studien gelesen, die mehr erzählen als jedes Etikett.
Die Wahrheit liegt im Mixer
Morgens, 7:30 Uhr. Ich stehe mit einem Holzlöffel in der Hand: ein Glas Mandelmilch, eine überreife Banane, ein Teelöffel Amla-Pulver und ein Hauch Matcha davor. Ich nenne das mein „Wachmacherexperiment“. Ergebnis: Geschmacklich irgendwo zwischen Waldboden und Zahnarztpraxis, aber mein Kopf? Klar, wach, sortiert.
Und die Wissenschaft? Laut der Analyse von Fernández-Ríos et al. (2022) liefern viele Superfrüchte – wie Camu-Camu, Goji oder Acerola – extreme Mengen an Antioxidantien, Carotinoiden und Vitamin C. Acerola hat etwa das 30-Fache an Vitamin C im Vergleich zur Orange. Goji-Beeren punkten mit fast 46.000 Mikrogramm Carotinoiden pro 100 Gramm. Klingt übermenschlich, ist aber messbar.
Grün heißt nicht automatisch genießbar
Ich erinnere mich an meinen Versuch mit Spirulina. Der Gedanke: Proteinbombe, Umweltschonung, Vitalität pur. Die Realität: ein Teichgeschmack, der sich durch alles zog, selbst durch Mango und Zitrone.
Aber: Spirulina und Chlorella gehören laut derselben Studie zu den proteinreichsten Lebensmitteln der Welt – bis zu 57 %. Und sie enthalten viele Mikronährstoffe, darunter Kalium, Eisen und Carotinoide. Mein Fazit: Nichts für den romantischen Frühstücksbrunch, aber sinnvoll für gezielte Versorgung.
Altbekannt, neu betrachtet: Heidelbeeren, Rote Bete, und Co.
Was meine Oma noch als „Waldfrüchtchen“ in Milch rührte, hat heute Harvard-Adel. Laut McManus (2018) zählen Beeren, Blattgemüse, Nüsse und Vollkornprodukte zu den Superfoods, die sich am besten alltagsintegrieren lassen – ohne Lieferketten aus Übersee und Geschmacksakrobatik.
Und dann ist da noch mein Geheimfavorit: Rote Bete. Ich habe sie gehasst – bis ich erfuhr, dass sie laut Kumar und Ahamed (2025) das dopaminerge System stärkt, antidepressiv wirkt und sogar bei Angstzuständen helfen kann. Seitdem landet sie in meinem Smoothie – gekocht, mild, erdig..
Granatapfel, Feige und Safran – Gehirnfutter mit Geschichte
Eine ehemalige Kollegin rührte sich jeden Mittag einen Granatapfel unter den Hirsebrei. „Fürs Gehirn“, sagte sie – und ich habe damals gelächelt. Heute weiß ich, dass Punica granatum (Granatapfel) laut neurologischer Forschung visuelles Gedächtnis verbessert und neuroprotektiv bei Alzheimer und Schlaganfall wirkt.
Auch Feige, Dattel und Safran sind in der Studie von Kumar und Ahamed gelistet – mit teils spektakulären Effekten: antipsychotisch, antidepressiv, förderlich für das Gedächtnis. Safran? In Maßen. Er wirkt, aber kostet wie flüssiges Gold.
Zwischen Hype und Alltag: Was sagt die Wissenschaft?
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) bringt es nüchtern auf den Punkt: Superfoods sind kein Ersatz für eine vielfältige, pflanzenbasierte Ernährung. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mahnt: Chiasamenmehl bitte nicht erhitzen, Quinoa für Kleinkinder? Noch nicht ausreichend erforscht.
Das Max Rubner-Institut (MRI) ergänzt: Wer sich nur von Superfoods ernährt, lebt nicht automatisch gesünder. Kalorien sind Kalorien – auch wenn sie aus der Goji-Beere kommen.
Öko oder Ego? Die Umweltbilanz im Blick
Superfoods kommen oft von weit her, mit dem Flugzeug statt der Gießkanne. Fernández-Ríos et al. (2022) zeigen: Nur 15 von 40 analysierten Superfoods wurden bislang in ökologischen Life-Cycle-Assessments (LCA) erfasst. Die EU setzt zwar auf „Farm to Fork“, aber echte Daten zu CO₂-Fußabdruck, Wasserverbrauch und Nachhaltigkeit fehlen vielerorts noch.
Mein Vorschlag: Regionale Superfoods wie Heidelbeere, Leinsamen, Rote Bete oder Grünkohl stärker denken. Weniger exotisch, dafür realistisch.
Und was kommt jetzt in meinen Smoothie?
Ich halte es schlicht. Eine Banane für die Basis, ein paar Heidelbeeren, ein Löffel Leinsamen, etwas Hafer. Dazu – je nach Stimmung – Amla für das Immunsystem, Rote Bete fürs Hirn, ein Hauch Moringa für die Pflanzenkraft. Und wenn’s ein harter Tag wird, vielleicht sogar etwas Safran. Nicht jeden Trend mitnehmen, aber neugierig bleiben. Nicht alles glauben, aber ausprobieren. Denn am Ende geht es nicht darum, ob dein Frühstück aussieht wie eine Instagram-Story, sondern ob du dich danach klar fühlst. Wach. Verbunden mit dir, und deinem Mixer.
- Quellen:
- Fernández-Ríos, A., Laso, J., Hoehn, D., Amo-Setién, F. J., Abajas-Bustillo, R., Ortego, C., Fullana-i-Palmer, P., Bala, A., Batlle-Bayer, L., Balcells, M., Puig, R., Aldaco, R., & Margallo, M. (2022). A critical review of superfoods from a holistic nutritional and environmental approach. Journal of Cleaner Production, 364, 134491. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2022.134491
- Ernährungsradar.de. (2024). Superfoods auf dem Prüfstand – zwischen Trend und Risiko. https://www.ernaehrungsradar.de/forschungsstand-superfoods/#was-sagen-expertinnen-und-institutionen
- Kumar, R. N., & Ahamed, H. N. (2025). Superfoods and their impact on brain health: A systematic review. Discover Food, 5(1), 1. https://doi.org/10.1007/s44187-024-00267-5
- McManus, K. D. (2018, August 29). 10 superfoods to boost a healthy diet. Harvard Health Publishing. https://www.health.harvard.edu/blog/10-superfoods-to-boost-a-healthy-diet-2018082914463
Der Kommentar von Jonas, unserem Experten für Neurobiologie:
der Beitrag ist wie ein guter Smoothie: ein bisschen sauer, ordentlich bunt und ziemlich aufrüttelnd. Und ich meine das absolut positiv – schließlich geht’s hier um nichts Geringeres als um unsere Gesundheit zwischen Supermarktregal, Instagram-Blendfilter und echten Antioxidantien. Was ich besonders schätze: Jemand bringt Licht ins Dunkel der Superfood-Szene, ohne dabei die Lust am Ausprobieren zu verlieren. Denn genau das ist der Knackpunkt: Viele Leute haben ein Superfood zu Hause, aber keine Ahnung, warum der grüne Pamps so seltsam riecht und trotzdem 17 € gekostet hat.
Was die wenigsten wissen: Der Placeboeffekt isst immer mit. Wenn ich fest daran glaube, dass Chia-Samen mich klüger machen, dann bin ich beim Frühstück automatisch besser gelaunt. Das ist keine Esoterik, das ist Biochemie mit einem Schuss Selbstfürsorge. Dein Hinweis auf die regionale Power von Roter Bete, Leinsamen und Heidelbeeren ist Gold wert, auch für den CO₂-Fußabdruck. Ich sag’s mal so: Warum aufwendig Camu-Camu importieren, wenn’s auch Omi-Omi aus’m Schrebergarten tut?
Und ja – Spirulina… Ich hab’s versucht. Einmal. Danach wusste ich: Wenn der Geschmack „Teichfilter bei Vollmond“ heißt, ist es keine Liebesgeschichte zwischen mir und meinem Mixer. Was ich bei all dem nicht vergessen möchte: Gesundheit ist kein Trend. Und sie beginnt nicht mit einem Detox-Plan, sondern mit einem inneren Dialog. Esse ich, um mich zu versorgen, oder um mich zu verbessern? Und wenn’s das zweite ist: Wofür? Für wen?
Denn echte Superkräfte entstehen nicht im Glas, sondern im Kopf. In der Art, wie wir mit uns umgehen. Ob wir uns hetzen oder versorgen. Ob wir jeden neuen Hype mitmachen, oder irgendwann einfach mal sagen: „Heute reicht mir ein warmes Porridge mit Apfel und Zimt. Und ein gutes Gefühl dabei.“
Der Kommentar von Jenny, unserer Spezialisten für Ernährung:
Superfoods sind kein Ersatz für eine gute Küche, sie sind eine Bereicherung, wenn wir sie mit Verstand einsetzen. Und du tust genau das: Du probierst, du prüfst, du differenzierst. Bravo! Ich liebe besonders deine Haltung am Ende: Nicht alles mitmachen, aber offen bleiben. Nicht jeder Hype ist haltbar, aber manche Zutaten sind eben wirklich gold wert. Und ja, auch im übertragenen Sinne, wenn wir an Safran denken.
Was mich freut: Du vergisst bei all dem High-End-Antioxidantienwissen nicht das Praktische. Und das ist ganz im Sinne meiner Philosophie: Was nützt die gesündeste Beere, wenn sie niemand essen mag? Was hilft ein „brain boosting smoothie“, wenn er nach Teich schmeckt?
Ich persönlich setze auch auf regionale Helden: Heidelbeeren aus dem Garten, Leinsamen, Haferflocken, ein wenig Honig vom Imker nebenan. Dazu vielleicht ein Klecks Joghurt mit lebenden Kulturen und fertig ist ein Frühstück, das nicht nur dem Körper gut tut, sondern auch der Seele. Und dem Tisch. Denn gutes Essen soll auch schön sein. Ein Smoothie, der aussieht wie ein Kunstwerk, macht einfach mehr Freude.
Deine Idee, Rote Bete neu zu denken, finde ich wunderbar. Gekocht, fein püriert mit einem Spritzer Zitrone, das bringt Farbe in jede Schale und ist so nahrhaft. Vielleicht kombinieren mit einem Tupfer Joghurt und gerösteten Walnüssen? Tobias, dein Text ist nicht nur eine Bestandsaufnahme im Superfood-Dschungel, er ist eine Einladung, sich wieder mehr Gedanken zu machen: Was tut mir wirklich gut? Was wächst vielleicht sogar vor meiner Tür? Und wie kann ich Gesundheit mit Genuss und Ästhetik verbinden?
Denn am Ende geht es nicht darum, einem Trend zu folgen. Sondern einen eigenen, guten Stil zu entwickeln. Auch – und gerade – in der Küche.