Gesundheit

Schlaf dich schlau!

Wie unser Gehirn nachts heimlich aufräumt – und warum Ratten sich besser an Futter erinnern als wir an Geburtstage

Ihr kennt das bestimmt: Man schläft eine Nacht drüber – und plötzlich ist alles klar. Die Lösung des Problems. Der Name des Schauspielers, der einem den ganzen Tag auf der Zunge lag. Oder die Erkenntnis, dass man die SMS besser nicht abgeschickt hätte. Aber was macht der Schlaf eigentlich mit unseren Erinnerungen?

Diese Frage hat sich ein Forschungsteam am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) gestellt – und die Antwort ist, nun ja, ziemlich tierisch. Denn statt uns Menschen mit ihren Fragen zu belästigen („Haben Sie gut geschlafen? Erinnern Sie sich noch an den Weg zum Kühlschrank?“), haben sie sich Ratten geschnappt. Genauer gesagt: Rattengehirne. Und dabei herausgefunden, dass unser Gehirn im Schlaf so einiges leistet – und zwar völlig unbemerkt.


Schlafen ist wie Frühjahrsputz im Kopf

Wissenschaftlich ausgedrückt: Während wir schlafen, reorganisieren sich neuronale Muster. Oder einfacher gesagt: Das Gehirn sortiert seine Zettel neu. Wichtiges nach oben, Unwichtiges in den Mülleimer. Und wenn es gut läuft, landet der Hochzeitstag nicht bei den Spam-Mails.

Im Versuch lernten Ratten, wo es Futter gibt – ein Thema, das wir vermutlich alle sofort verstehen. Anschließend durften sie schlafen, und das Forschungsteam lauschte ihren Gehirnzellen beim Flüstern. Mit kabelloser Technik, versteht sich – niemand hat den Ratten Drähte ans Ohr geklebt.

Das Ergebnis: Je länger die Ratte schlief, desto mehr veränderten sich die neuronalen Aktivitätsmuster. Anfangs spiegelten sie das Gelernte wider. Später jedoch zeigten sie genau jene Muster, die auch beim Erinnern des Futterortes nach dem Aufwachen aktiv waren.

Mit anderen Worten: Das Gehirn baute im Schlaf die Gedächtnis-Landkarte um. Erst lernen, dann sortieren, dann erinnern. Und alles ganz ohne To-do-Liste.


Die Sache mit dem „representational drift“

Ein bisschen klingt es wie ein Poetry-Slam-Begriff, ist aber neurowissenschaftlich gemeint: Representational drift heißt der Vorgang, bei dem sich die Darstellung von Erinnerungen im Gehirn während des Schlafs verschiebt. Manche Neuronen hören auf zu feuern, andere springen neu ein – wie bei einem Theaterstück, bei dem plötzlich andere Schauspieler dieselbe Rolle übernehmen.


Weitere Themen:

Warum das Ganze? Eine Theorie: Das Gehirn räumt Platz für neue Erinnerungen. Wer also ständig lernt – ob Vokabeln, Netflix-Serien oder die Namen aller Pokémon – braucht Schlaf, um das alles irgendwo unterzubringen.


REM oder nicht REM – das ist hier die Frage

Besonders spannend: Das Umsortieren passiert vor allem im Non-REM-Schlaf – also in der Phase, in der man nicht von fliegenden Einhörnern oder verpassten Matheprüfungen träumt. Der REM-Schlaf dagegen scheint eher zu sagen: „Lass das mal so, wie es war.“

Also: Wer gut schlafen will, um besser zu lernen, sollte sich nicht nur aufs Träumen konzentrieren – sondern auch auf tiefen, erholsamen Schlaf. Und vielleicht auf ein bisschen weniger TikTok im Bett.


Was lernen wir daraus – außer, dass Ratten klüger schlafen als wir?

  • Schlaf ist kein Luxus, sondern eine Investition in die Zukunft.
  • Erinnerungen sind wie Schränke – sie brauchen Ordnung, sonst findet man nichts.
  • Das Gehirn ist nachts fleißiger als so mancher tagsüber im Büro.

Und das Beste: Diese Forschung bringt uns einen Schritt näher zu einer alten Menschheitsfrage: Warum vergessen wir, was wir vergessen wollten – aber erinnern uns an das Passwort von 2012?

Vielleicht liegt die Antwort im Schlaf.


Und was bedeutet das für uns?
Ganz einfach: Gönn dir deinen Schlaf!
Nicht als Flucht vor der Realität, sondern als Heimwerkerkurs für dein Gehirn. Denn jede Nacht wird neu tapeziert, verkabelt und gestrichen – in den Farben deiner Erinnerungen.

In diesem Sinne: Gute Nacht. Und nicht vergessen – oder doch?

Foto: ISTA Professor Jozsef Csicsvari, Forscher aus der Gruppe von Professor Jozsef Csicsvari am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben die Schlüsselrolle der Schlafphasen für die Optimierung der Gedächtnisleistung nachgewiesen.



Hier schreibt Jonas Weber. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einer Portion Humor vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam.Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.


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