Psychologie

„Ich bin kinderlos und glücklich damit “

Erzähl mir dein Leben:

„Erzähl mir dein Leben“ ist der Ort, an dem Menschen ihre ganz persönliche Geschichte teilen. Ob große Herausforderungen, kleine Freuden, unerwartete Wendungen oder mutige Entscheidungen – hier findet jede Lebensgeschichte ihren Raum. Durch das Erzählen entdecken wir uns selbst und können auch anderen helfen.

Ein Gespräch über ein bewusstes Leben ohne Kinder.

Die Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, ist für viele ein sehr persönliches und oft kontroverses Thema. Für Julia (36) und ihren Partner war es eine bewusste Wahl, die immer wieder hinterfragt wird – nicht nur von ihrem Umfeld, sondern auch manchmal von ihnen selbst. In diesem Interview spricht Julia offen darüber, wie sie und ihr Partner zu dieser Entscheidung gekommen sind, welche Reaktionen sie erhalten und warum sie heute glücklich mit ihrem kinderfreien Leben sind.

Julia, vielen Dank, dass du bereit bist, über dieses Thema zu sprechen. Die Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, ist für viele sehr persönlich. Wann habt ihr euch entschieden, kinderlos zu bleiben?

Julia:
Es war ein schleichender Prozess. Wir haben nie diesen einen großen Moment gehabt, in dem wir entschieden haben: „Wir werden keine Kinder haben.“ Es war eher eine Abfolge vieler kleiner Gespräche über die Jahre. Mein Partner und ich sind seit über 15 Jahren zusammen, und anfangs dachten wir beide: „Irgendwann werden wir schon Kinder bekommen.“ Aber je älter wir wurden, desto mehr merkten wir, dass der Wunsch nach einem eigenen Kind bei uns nicht so stark war, wie es bei anderen Menschen der Fall ist. Ich habe Freundinnen, die nach und nach schwanger wurden und ich habe sie immer gefragt „Woran hast du gemerkt, dass du Mutter werden wolltest? Wie entstand der Wunsch in dir? Woran hast du das gefühlt?“ Alle haben irgend etwas anderes erzählt, aber ich habe nichts Vergleichbares gefühlt. Es war einfach nicht in mir drin. Wir haben uns immer wieder die Frage gestellt: „Warum wollen wir eigentlich Kinder?“ Und ehrlich gesagt, kamen wir nie zu einer Antwort, die uns das Gefühl gab, dass es der richtige Weg für uns ist. Letztlich haben wir uns dann bewusst entschieden, kinderlos zu bleiben. Als wir die Entscheidung getroffen haben, wurde auf einmal innerlich alles leicht für mich. Es war, als würde mein Herz aufgehen und ich konnte auf einmal viel leichter atmen. Und daran habe ich gemerkt, dass es richtig war. 

Gab es einen bestimmten Grund, warum ihr diese Entscheidung getroffen habt?

Julia:
Es war eine Mischung aus verschiedenen Dingen. Zum einen haben wir beide eine sehr starke Leidenschaft für unsere Berufe. Mein Partner arbeitet als Fotograf, ich bin Schriftstellerin. Unsere Karrieren bedeuten uns sehr viel. Sie füllen uns aus. Jedes meiner Bücher ist wie ein Kind für mich und ich schätze, ihm geht es mit seinen Fotos so ähnlich. Ein Kind hätte da keinen Raum. Wir hätten beide das Gefühl gehabt, uns zwischen unseren beruflichen Zielen und einem Kind entscheiden zu müssen. Ein anderer Punkt war, dass wir unser Leben so, wie es ist, sehr genießen. Wir lieben unsere Freiheit, spontan zu reisen, Zeit für uns selbst zu haben. Ich kann schreiben, wo immer ich will. Und deshalb kann ich Philipp auf seinen Reisen begleiten und genieße die vielen fremden Eindrücke, die ich dann wieder in meinen Bücher verarbeite. Ich bin dadurch inspiriert und das macht mich glückselig. Niemand kann wahrscheinlich verstehen, was das Schreiben für mich bedeutet, aber es erfüllt mich voll und ganz. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass mir etwas fehlt, und so kam es einfach nicht dazu, dass der Kinderwunsch in uns wuchs.

Und dann ist da auch noch die Welt, in der wir leben. Wir haben uns oft gefragt, ob es fair ist, ein Kind in eine Welt zu bringen, die von Klimawandel, politischen Unsicherheiten und anderen globalen Krisen geprägt ist. Das war nicht der ausschlaggebende Grund, aber es hat unsere Entscheidung definitiv beeinflusst.

Wie haben die Menschen in eurem Umfeld auf diese Entscheidung reagiert?

Julia:
Das war definitiv eine Herausforderung. Besonders unsere Familien haben anfangs Schwierigkeiten gehabt, unsere Entscheidung zu akzeptieren. Meine Mutter sagte mir einmal: „Du wirst es bereuen, wenn du älter bist.“ Das hat mich sehr getroffen, weil ich weiß, dass sie sich Enkelkinder gewünscht hat. Aber ich denke, das kommt oft daher, dass viele Menschen Kinder als eine Selbstverständlichkeit betrachten – als einen natürlichen nächsten Schritt im Leben.

Es gab auch Freunde, die uns fragten: „Seid ihr sicher, dass ihr das nicht irgendwann bereuen werdet?“ Aber ehrlich gesagt, finde ich es schade, dass so oft angenommen wird, dass ein Leben ohne Kinder unvollständig ist. Für uns fühlt sich unser Leben nicht unvollständig an. Es ist einfach nur anders als das Leben vieler anderer Menschen.

Auf der anderen Seite haben uns viele Freunde unterstützt, vor allem diejenigen, die selbst in ähnlichen Situationen sind oder die verstanden haben, dass jede Lebensentscheidung individuell ist.

Hast du jemals Zweifel an eurer Entscheidung verspürt?

Julia:
Natürlich gab es Momente des Zweifelns. Es gibt immer mal wieder Phasen, in denen ich mich frage: „Was wäre, wenn…?“ Besonders wenn ich sehe, wie Freunde und Familie mit ihren Kindern interagieren, kommen diese Gedanken auf. Es ist ein ganz besonderer Aspekt des Lebens, den wir nie erfahren werden. Und ich weiß natürlich nicht, wie ich mich fühle, wenn ich älter bin. 

Aber diese Zweifel sind immer nur von kurzer Dauer. Wenn ich in mich hineinhöre, spüre ich, dass unsere Entscheidung die richtige für uns ist. Ich glaube, es ist normal, sich zu fragen, ob man einen anderen Weg hätte gehen sollen – das gilt für viele Lebensentscheidungen, nicht nur für die Frage nach Kindern. Aber jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, weiß ich, dass ich mich mit unserer Entscheidung wohlfühle.

Fühlst du manchmal Druck von der Gesellschaft, weil du kinderlos geblieben bist?

Julia:
Ja, absolut. Es gibt einen unausgesprochenen gesellschaftlichen Druck, der uns sagt, dass das ultimative Ziel im Leben ist, Eltern zu werden. Es wird oft erwartet, dass Frauen – besonders Frauen – irgendwann Kinder bekommen. Und wenn man das nicht tut, wird man schnell als „egoistisch“ oder „unnatürlich“ abgestempelt.

Es ist frustrierend, weil diese Entscheidung nichts mit Egoismus zu tun hat. Für mich geht es darum, authentisch zu leben und Entscheidungen zu treffen, die für mich und meinen Partner richtig sind. Wir haben uns nicht gegen Kinder entschieden, weil wir unser Leben nicht teilen wollen, sondern weil wir das Leben, das wir führen, als vollständig empfinden.

Es hat lange gedauert, bis ich gelernt habe, diesen Druck von außen zu ignorieren. Aber jetzt stehe ich zu unserer Entscheidung, und ich fühle mich nicht mehr verpflichtet, mich rechtfertigen zu müssen.

Was macht dich heute glücklich, wenn du auf dein kinderfreies Leben blickst?

Julia:
Es sind die kleinen Dinge, die mich glücklich machen – die Freiheit, mein Leben so zu gestalten, wie es für mich richtig ist, ohne dass ich mich eingeschränkt fühle. Ich liebe die Spontaneität, die Philipp und ich in unserem Leben haben. Wir können reisen, wenn uns danach ist, und haben Zeit für unsere Hobbys und Karrieren, ohne das Gefühl, dass wir jemandem gerecht werden müssen. Und natürlich geht es uns auch finanziell gut, ein Kind großzuziehen ist teuer. Wir aber können abends öfter schön essen gehen, trinken ein gutes Glas Wein und genießen unser Leben. Es ist ein Luxus, in unserer Beziehung einfach „wir“ zu sein. Wenn wir einen Tag in die Sauna gehen möchten, dann machen wir das und liegen in unseren Bademänteln gemütlich einen ganzen Tag lang mit einem guten Buch auf einer Liege. Wenn ich dann die anderen im Kinderbecken sehe, weiß ich oft manchmal erst, wie gut ich es gerade habe. 

Was würdest du anderen Paaren oder Frauen raten, die sich unsicher sind, ob sie Kinder haben möchten oder nicht?

Julia:
Mein größter Rat wäre, auf das eigene Herz zu hören und sich nicht von gesellschaftlichen Erwartungen leiten zu lassen. Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg, das Leben zu leben. Wenn du das Gefühl hast, dass ein Leben ohne Kinder für dich das richtige ist, dann ist das völlig in Ordnung. Du bist nicht verpflichtet, jemandem eine Erklärung abzugeben – es ist deine Entscheidung.

Nimm dir die Zeit, dir wirklich bewusst zu werden, was du willst, und höre dabei auf deine inneren Bedürfnisse, nicht auf die Stimmen von außen. Es ist wichtig, zu verstehen, dass jede Lebensform wertvoll ist – egal, ob man sich für Kinder entscheidet oder nicht. Jeder Mensch hat seine eigenen Wege, Erfüllung zu finden.

Und wenn du unsicher bist, sprich mit deinem Partner, deiner Familie oder auch mit anderen, die ähnliche Überlegungen haben. Am Ende des Tages musst du das Leben leben, das dich glücklich macht.

Vielen Dank, Julia, dass du so offen über deine Entscheidung gesprochen hast.

Julia:
Gern. Ich hoffe, dass meine Geschichte dazu beiträgt, dass dieses Thema offener besprochen wird und dass es mehr Akzeptanz für unterschiedliche Lebenswege gibt.

Der Kommentar von Nina, unserem Selbsthilfe-Coach:

Dieses Leben gehört nur dir!

Unser Leben ist ein Geschenk und das heißt, wir können damit machen, was immer wir wollen. Das scheinen viele Menschen nicht zu wissen. Sie machen einfach das, was „alle“ machen. Schule, Beruf, Heiraten, Kinder kriegen, sich nebenbei noch um die Eltern kümmern und dann später um die Enkelkinder. Aber das ist ja nur ein mögliches Lebenskonzept. Aber es ist erprobt, bewährt und sicher. Wahrscheinlich wählen es deshalb soviele Menschen. Dabei kannst du mit diesem Leben machen, was immer du willst! Wenn du Abenteuer erleben willst, dein Leben dem Dienst am Nächsten verschreiben möchtest, für die Wissenschaft brennst oder was auch immer in dir ist – du kannst es leben. Es erfordert Mut, abseits des Mainstreams zu schwimmen. Und man kann auch scheitern und etwas bereuen. Ich denke aber, dass man die Dinge am meisten bereut, die man erst gar nicht gemacht hat. Julias Geschichte zeigt, dass die Entscheidung, kinderlos zu bleiben, genauso gültig und erfüllend sein kann wie jede andere Lebensentscheidung. Ihr inneres Feuer brennt für ihre Leidenschaft, das Schreiben. Sie hat es zum Beruf gemacht und sagt auch so treffend: „Jedes Buch ist wie ein Kind für mich!“ Diese Haltung findet man oft bei geborenen Künstlern. In ihnen ist sehr viel innerer Reichtum, der sich einen Weg nach außen sucht, in den Ausdruck. Sei es als Komponist, Schriftsteller, Fotograf, Schauspieler. Und da ist in der Tat kein Raum mehr, für ein anderes Wesen. Um ein Kind muss man sich auch kümmern und es ist sehr ehrlich, sich einzugestehen, dass das nicht zu den eigenen Stärken gehört. Und wie schön, dass Julia den passenden Partner gefunden hat, der das ganz genauso sieht. Es geht immer darum, seinen eigenen Weg zu finden und das Leben so zu gestalten, wie es einem selbst am besten entspricht. Ob mit oder ohne Kinder – wichtig ist, dass man sich mit seinen Entscheidungen wohlfühlt und authentisch lebt.

Deine Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. Egal, ob du selbst schreibst oder liest – „Erzähl mir dein Leben“ verbindet uns alle durch das, was uns am meisten ausmacht: unsere Erfahrungen. Du möchtest deine Geschichte erzählen? Dann schreib uns eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.

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