Leben

“Ich bin doch keine Influencerin!” – Wenn der Traumjob plötzlich peinlich wird

Von Julia Klimt

Stell dir vor, du erzählst auf einer Party von deinem Job und siehst, wie sich die Gesichter verziehen. Genau das passiert gerade vielen Menschen, die als Content Creator arbeiten. Was früher der absolute Traumjob war, ist heute fast schon ein Schimpfwort geworden. Aber wie gehst du damit um, wenn dein Beruf plötzlich ein Imageproblem hat?

Wenn aus dem Traum ein Albtraum wird

Kennst du das Gefühl, wenn sich deine berufliche Identität plötzlich anfühlt wie ein schlecht sitzender Pullover? Genau das erleben gerade viele Menschen in der Social-Media-Branche. Was noch vor wenigen Jahren als innovativ und erstrebenswert galt, wird heute oft mit Oberflächlichkeit und fragwürdigen Geschäftspraktiken in Verbindung gebracht.

Professorin Claudia Gerhards von der Hochschule Düsseldorf untersucht, wie Influencer auf das negative Image reagieren – und welche Strategien sie entwickeln, um sich vor Vorurteilen zu schützen und ihre eigene berufliche Identität zu stärken. Ein Umgangsweg besteht darin, die kreative Leistung und den Arbeitsaufwand der Content-Produktion zu betonen und sich dadurch mit anerkannten kreativen Berufen wie Filmemachern oder Fotografen gleichzustellen. Eines machen alle: Sie vermeiden den Begriff “Influencer” wie die Pest und erfinden neue Jobbezeichnungen. “Digital Creator”, “Content Strategin” oder gleich “Künstlerin” – Hauptsache, es klingt nicht nach dem, was sie eigentlich sind.

Die Kunst der beruflichen Neuerfindung

Was zunächst wie Selbstbetrug aussieht, ist tatsächlich ein cleverer psychologischer Mechanismus. Wenn dein Beruf gesellschaftlich unter Beschuss steht, hast du grundsätzlich drei Möglichkeiten: Du kämpfst dagegen an, du ziehst dich zurück – oder du erfindest dich neu.

Die Abgrenzungs-Strategie: “Das sind nicht wir alle, das sind nur die schwarzen Schafe.” Klingt vertraut? Diese Strategie nutzen wir alle, wenn unsere Gruppe kritisiert wird. Es ist der Versuch, die eigene Identität zu schützen, indem wir uns von den “Schlechten” distanzieren.

Die Umdeutungs-Strategie: Aus der Werbetreibenden wird plötzlich eine Beraterin, aus dem Product Placement wird Produktjournalismus. Das ist nicht nur Marketing-Sprech, sondern ein echter Versuch, die eigene Arbeit in einem besseren Licht zu sehen.

Die Aufwertungs-Strategie: “Ich bin Künstlerin, meine Videos sind kleine Dokumentarfilme.” Hier wird versucht, die Tätigkeit in eine gesellschaftlich angesehenere Kategorie zu verschieben.


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Wenn die Realität hart zuschlägt

Manchmal hilft aber auch die beste Strategie nicht weiter. Besonders dann nicht, wenn das Finanzamt an die Tür klopft. In Nordrhein-Westfalen laufen derzeit rund 200 Strafverfahren gegen Content Creator, es geht um einen Steuerschaden von 300 Millionen Euro. Da wird aus dem Imageproblem plötzlich ein sehr reales Problem. Für viele Betroffene ist das der Moment der Wahrheit. Plötzlich reicht es nicht mehr, sich selbst und anderen etwas vorzumachen. Jetzt wird Transparenz überlebenswichtig.

Was du daraus lernen kannst

Diese Situation ist ein Paradebeispiel dafür, wie schnell sich berufliche Realitäten ändern können. Aber die Strategien, die Content Creator entwickelt haben, sind universell anwendbar:

Erkenne deine Werte: Was ist dir wirklich wichtig an deiner Arbeit? Nicht das Image, sondern der echte Kern. Wenn du weißt, wofür du stehst, kannst du auch in schwierigen Zeiten authentisch bleiben.

Sei ehrlich zu dir selbst: Selbstschutz ist wichtig, aber Selbstbetrug führt langfristig nirgendwo hin. Wenn deine Branche Probleme hat, dann erkenne sie an, anstatt sie wegzureden.

Nutze Krisen als Chance: Jede Branche durchlebt schwierige Phasen. Die, die überleben, sind oft die, die sich am besten anpassen können. Transparenz und Professionalität sind immer gute Investitionen.

Lass dich nicht nur vom Außenbild leiten: Was andere über deinen Job denken, ist nicht alles. Wichtig ist, dass du selbst dahinter stehen kannst.

Der Weg nach vorn

Vielleicht ist diese ganze Imagekrise auch eine Chance für einen Neuanfang. Eine Chance für alle, die in umstrittenen Branchen arbeiten, zu zeigen, dass es auch anders geht. Transparenter. Ehrlicher. Professioneller. Du bist nicht dein Job-Titel. Du bist das, was du aus deiner Arbeit machst. Und das hast du selbst in der Hand – auch in der größten Krise.


Foto: Prof. Dr. Claudia Gerhards forscht seit vielen Jahren zu Professionalisierungsprozessen im Influencer-Marketing und hat dazu zahlreiche Beiträge veröffentlicht. Sie leitet den Bachelorstudiengang Kommunikations- und Multimediamanagement am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der HSD.

Der Kommentar von Nina, unserem Mental-Health-Coach: „Wenn der Job-Titel kratzt wie ein Etikett im Nacken – was das über dich verrät.“

Wenn wir anfangen, uns für unseren Beruf zu schämen, ist das ein wichtigger Hinweis auf einen inneren Konflikt: Wer bin ich – und wie möchte ich gesehen werden?

Viele sogenannte „Content Creatorinnen“ erleben gerade genau diesen Bruch. Sie waren stolz auf ihre kreative Freiheit, ihre Selbstständigkeit, ihren Erfolg in der digitalen Welt. Und jetzt? Schleicht sich Unsicherheit ein. Zweifel. Die Angst, nicht mehr ernst genommen zu werden. Als wäre ihr berufliches Selbstbild plötzlich vielleicht sogar ein bisschen peinlich. Und das ist ein Hinweis darauf, dass wir uns über unsere Grenzen bewegt haben. Uns haben verführen lassen, nicht mehr authentisch sind. Denn dann zählt nur noch, wie andere uns bewerten.
Wenn du dir deiner Werte bewusst bist, kannst du dir selbst treu bleiben und deinen Job mit Inhalt füllen, der zu dir passt.

Die eigentliche Frage lautet nicht: Wie soll ich mich nennen? Sondern: Wofür stehe ich? Was ist mir wichtig? Und bin ich im Einklang mit dem, was ich tue? Dazu gehört aber auch, Produkte kritisch zu hinterfragen und sie nicht einfach begeistert in die Kamera zu halten. Und die Einnahmen ordentlich zu versteuern. Denn wir leben in einer Solidargemeinschaft. Und in einer solchen gibt jeder etwas ab, damit es allen gut geht. Wer sich diesem Prinzip entzieht, stellt sich außerhalb der Gemeinschaft, die ihn oder sie trägt.

Wenn du das klar hast, brauchst du keine Worthülsen. Dann bist du nicht nur jemand, der Inhalte produziert, sondern jemand, der Haltung zeigt. Und genau das ist heute wichtiger denn je.

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