Psychologie

Erleuchtung? Nein, danke! Für alle, die Yoga langweilig finden und beim autogenen Training einschlafen.

Spirituelle Praktiken sind ja so eine Sache. Während die einen sich voller Hingabe in Meditation, Yoga oder Pilgerreisen stürzen, sitzen die anderen im Schneidersitz und fragen sich: “Warum tu ich mir das eigentlich an?” Eine neue Studie der Universität Wien zeigt jetzt: Das Phänomen der “spirituellen Langeweile” ist weit verbreitet – und kann richtig frustrieren.

Von der Zen-Zone in die Zähigkeit

Man kennt das: Eigentlich wollte man sich achtsam und bewusst auf seine spirituelle Praxis einlassen, aber nach fünf Minuten fängt das Gehirn an zu quengeln. “Wie lange noch? Warum passiert hier nichts? Wo bleibt das erleuchtende Kribbeln?” Die Forschenden um Bildungspsychologe Thomas Götz haben genau das untersucht und festgestellt: Wer sich zu wenig oder zu viel gefordert fühlt oder den Sinn hinter der Praxis nicht erkennt, driftet schneller in die Langeweile ab als ein Meditierender in den Sekundenschlaf. Das Problem: Statt innerer Ruhe gibt’s dann nur noch innere Unruhe – und der Blick auf die Uhr wird zur eigentlichen Achtsamkeitsübung.

Es macht einfach keinen Sinn, oder?

Aber warum passiert das? Die sogenannte Kontrolle-Wert-Theorie liefert eine Antwort: Menschen langweilen sich besonders dann, wenn sie eine Tätigkeit als über- oder unterfordernd empfinden oder keinen persönlichen Sinn darin sehen. Und das gilt eben nicht nur für den Mathematikunterricht oder das Warten auf den Bus, sondern auch für spirituelle Praktiken. Denn ganz ehrlich: Wer nicht weiß, warum er sich im Lotussitz verrenkt, wird sich kaum durch ein OM in höhere Bewusstseinszustände katapultieren.

Zwischen Heiligkeit und Handy-Check

Und was macht das mit uns? Kurz gesagt: nichts Gutes. Wer sich langweilt, verliert die Motivation, bleibt weniger aufmerksam und profitiert kaum von den positiven Effekten der Praxis. Gerade in Zeiten, in denen immer mehr Menschen auf der Suche nach Sinn und Orientierung sind, kann spirituelle Langeweile eine echte Spaßbremse sein. Die Lösung? Spirituelle Lehrer*innen sollten nicht einfach nach Schema F unterrichten, sondern sich stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Suchenden einstellen. Denn wenn die Meditation so fad wird, dass man lieber die Insta-Storys checkt, läuft irgendwas schief.

Ost trifft West – und versteht sich nicht?

Hier kommt noch eine interessante kulturelle Dimension ins Spiel: In vielen asiatischen Traditionen wird nicht viel erklärt – der Schüler vertraut, macht nach und wartet auf seine Erleuchtung. Klappt das auch im Westen? Oder brauchen wir Europäer einfach eine Gebrauchsanweisung für alles? Vielleicht liegt das an unserer Geschichte: Das Zeitalter der Aufklärung hat uns beigebracht, dass Wissen Kontrolle bedeutet – und Kontrolle beruhigt. Wer in der Meditationsgruppe also erstmal eine PowerPoint-Präsentation über die Vorteile der Achtsamkeit sehen will, gehört vermutlich genau in diese Zielgruppe.


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Gleichzeitig zeigt die Forschung: Während in fernöstlichen Traditionen die Erleuchtung irgendwann wie ein Überraschungsei eintritt, erwarten viele westliche Praktizierende sofortige Ergebnisse. Am besten mit Checkliste und messbarem Fortschritt. Aber genau das könnte der Denkfehler sein! Vielleicht geht es ja gar nicht darum, möglichst schnell “fertig” zu werden, sondern darum, sich einfach mal dem Prozess hinzugeben – ohne ständig auf den Fortschrittsbalken zu schielen.

Langeweile als Chance?

Und jetzt wird’s spannend: Vielleicht ist Langeweile gar nicht nur ein Hindernis, sondern genau der Schlüssel zur spirituellen Erfahrung? In buddhistischen Lehren wird Langeweile als Übergangsphase gesehen – als ein Zustand, in dem das Ego sich langweilt, bevor das eigentliche Bewusstsein übernehmen kann. Vielleicht sollten wir also nicht gegen sie ankämpfen, sondern sie mal bewusst aushalten. Wer sich auf das Nichts einlässt, entdeckt womöglich, dass genau dort die spannendsten Dinge passieren.

Und was bringt uns nun die Erleuchtung?

Die Forschenden empfehlen: Mehr Flexibilität, mehr Individualität, mehr Sinn. Spirituelle Praktiken sollten weniger nach dem Gießkannenprinzip, sondern mehr nach Maß geschneidert werden. Demnächst wird es also Yoga-Kurse für Skeptiker, Mediation für Naturwissenschaftler und autogenes Training für sehr, sehr müde Menschen geben. Zielgruppenspezifische Angebote werden in die Welt der Entspannung einziehen. Es gibt Menschen, die müssen wissen, warum sie etwas tun sollen, bevor sie es tun. Ist übrigens nicht die schlechteste Lebenseinstellung.

Oder aber, man lässt sich darauf ein und schmeißt einfach jede Erwartung über Bord. Denn wer dauernd das Gefühl hat, dass jetzt bitte sofort die Erleuchtung eintreten soll, verpasst vielleicht die eigentliche Lektion: dass sie genau dann kommt, wenn man sie nicht erzwingen will. Also, das nächste Mal, wenn die Langeweile zuschlägt – vielleicht nicht gleich das Handy zücken. Sondern mal gucken, was da eigentlich passiert. Wer weiß? Vielleicht ist genau das der erste Schritt in Richtung Erleuchtung.

Der Kommentar von Selina, unserem Entspannungscoach: Langeweile? Oder die Tür zu etwas Größerem? Wer schon mal auf der Yogamatte saß und dachte: „Puh, wann ist diese Stunde endlich vorbei?“, der weiß, wovon wir hier sprechen. Meditation, Yoga, Achtsamkeit – all das klingt wunderbar. Aber manchmal fühlt es sich einfach nur … zäh an. Doch genau da liegt die Chance! In unserer schnellen, reizüberfluteten Welt sind wir es gewohnt, dass ständig etwas passiert. Unser Geist ist wie ein überdrehter Teenager: Immer auf der Suche nach dem nächsten Kick, der nächsten Ablenkung. Aber was, wenn wir das mal anders sehen? Was, wenn Langeweile nicht das Ende, sondern der Anfang ist? Mein Tipp: Bleib einfach mal drin in diesem Gefühl. Keine Insta-Storys, kein “Ich-guck-mal-schnell-auf-die-Uhr”. Einfach atmen. Spüren. Da sein. Und irgendwann – wenn du nicht mehr darauf wartest – kommt die echte Magie. Vielleicht nicht mit einem großen Om, aber mit einem stillen Oh wow. Probier’s aus. Wer weiß? Vielleicht ist genau das der erste Schritt zu etwas, das du noch gar nicht sehen kannst.

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