Gesundheit

Dein Gehirn ist nicht neutral. Es ist du.


Genetikerin untersucht, warum Frauen und Männer unterschiedlich krank werden – und was Gliazellen, Hormone und ein „zweiter genetischer Code“ damit zu tun haben.

Foto: Julia Schulze-Hentrich, Professorin für Epigenetik der Universität des Saarlandes | Copyright: Universität des Saarlandes 

Du denkst, dein Gehirn ist objektiv? Es ist rational, effizient – ein Supercomputer auf Bio-Basis? Dann habe ich gute Nachrichten: Dein Gehirn ist viel spannender. Und manchmal auch ziemlich parteiisch.

Zum Beispiel, wenn es um Krankheiten geht.
Denn wusstest du, dass Frauen häufiger an Alzheimer erkranken – und Männer öfter an Parkinson?
Und das nicht, weil Frauen mehr vergessen und Männer schlechter stillsitzen können,
sondern weil sich das Gehirn geschlechtsspezifisch anders entwickelt?


Denkzellen vs. Denkhilfe: Gliazellen übernehmen!

Bisher dachte man: Die Hauptdarsteller im Gehirn sind die Neuronen – also die Nervenzellen.
Stimmt auch. Aber wie in jedem guten Orchester braucht es auch die leisen Töne:
Gliazellen. Lange unterschätzt, jetzt im Rampenlicht.

Diese Zellen kümmern sich ums große Ganze:
Sie versorgen die Neuronen, reagieren auf Stress – und hören auf Hormone.

Ja, richtig gehört: Deine Hirnzellen hören auf Hormone.
(Und wer hätte gedacht, dass Östrogen mal ein Thema für Neurologie wird?)


„SEX and GLIA“ – keine Netflix-Serie, sondern Forschung mit Zukunft

In Saarbrücken koordiniert Julia Schulze-Hentrich, Professorin für Epigenetik, ein neues DFG-Schwerpunktprogramm mit dem Titel „SEX and GLIA“.
Zugegeben: Der Titel klingt nach einer Mischung aus Tinder und Biologiekurs.
Aber es geht um etwas richtig Großes:
Warum Männer- und Frauengehirne anders auf Krankheiten reagieren.


Weitere Themen:


Schon vor deiner Geburt geht’s los

Schon im Mutterleib läuft dein Gehirn auf Geschlechtsmodus:
Bei Jungen sorgt ein Testosteron-Schub dafür, dass die vorderen und hinteren Gehirnregionen besser verknüpft werden.
Bei Mädchen verbinden sich eher die beiden Gehirnhälften miteinander.

Deshalb sind Männer oft motorisch stärker, Frauen sprachlich und intuitiv vernetzter.
Nicht besser. Nicht schlechter. Einfach anders.


Epigenetik – dein zweiter genetischer Code

Stell dir deine DNA wie ein riesiges Buch vor.
Die Epigenetik ist das Inhaltsverzeichnis – sie entscheidet, welche Kapitel gelesen werden.
Oder auch:
Du hast vielleicht das Rezeptbuch. Aber die Epigenetik sagt dir, was heute gekocht wird.

Und genau das beeinflusst, wie dein Gehirn auf Hormone reagiert,
wie Zellen miteinander kommunizieren – und warum eine Krankheit bei dir ganz anders verläuft als bei deinem besten Freund oder deiner Mutter.


Und jetzt?

Jetzt wird geforscht. Mit Bildgebung, Verhaltensanalysen, Elektrophysiologie –
alles, damit wir verstehen:
Was passiert da eigentlich in deinem Kopf – je nachdem, was in deinem Körper los ist?

Und zwar nicht abstrakt, sondern ganz konkret:
Wie Medikamente wirken, warum Therapien bei Frauen anders anschlagen als bei Männern –
und wie wir in Zukunft geschlechtsspezifisch behandeln, statt alles über einen Kamm zu scheren.


Was heißt das für dich?

Du bist nicht „nur“ Mann oder Frau.
Du bist ein Mensch mit einem ganz eigenen Gehirn, das geprägt ist von Genetik, Hormonen – und Erfahrungen.

Und:
Dein Gehirn denkt nicht neutral. Es denkt so, wie du gebaut bist.
Mit allem, was dazu gehört.

Oder wie ich’s sagen würde:

Die spannendste Beziehung deines Lebens führst du nicht mit deinem Partner – sondern mit deinem eigenen Gehirn.


Frauenhirn, Männerhirn? Es gibt nicht „das“ Gehirn. Es gibt viele Varianten eines Wunderwerks, das wir gerade erst beginnen zu verstehen. Gliazellen, Hormone und Epigenetik sind keine Modebegriffe – sondern Bausteine für die Medizin von morgen.
Eine Medizin, die nicht nur Symptome behandelt, sondern Menschen in ihrer Vielfalt erkennt.




Hier schreibt Jonas Weber vom Minerva-Vision-Team. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einer Portion Humor vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam.Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.


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