Psychologie

Das geht doch auch später, oder?

Für alle, die Dinge aufschieben. Und das gerne ändern möchten.

    Hast du dich auch schon mal gefragt, warum du immer wieder wichtige Aufgaben aufschiebst? Ob Steuererklärung, Klausur-Termine oder den Wohnungsputz? Hier findest du Antworten und Lösungen. 

    „Du glaubst es nicht“, erzählte mir mein Sohn kürzlich. „Da haben wir doch glatt heute eine Deutscharbeit geschrieben!“ Näheres Nachfragen ergab, dass die anderen Kinder durchaus davon wussten. Er auch. Aber er hatte keine Lust, dafür etwas zu lernen. Also hat er einfach nichts gesagt, den Nachmittag lieber im Garten verbracht und fand, dies sei eine geschickte Methode, mich darüber zu informieren. Die meisten von uns kennen dieses Phänomen. Etwas steht an und wir wissen es auch. Können uns aber nicht aufraffen, auch nur einen Finger zu rühren, selbst dann, wenn daraus unangenehme Konsequenzen folgen. Sahiti Chebolu forscht am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik und zeigt auf, warum wir Entscheidungen treffen, die uns schaden. Und was uns hilft. 

    Wieso habe ich das nicht schon längst erledigt?

      Das Trödeln hat sogar einen wissenschaftlichen Namen: Prokrastination nennt man das willentliche Aufschieben von Aufgaben, obwohl wir wissen, dass das Verhalten schlecht für uns ist. Denn wer sich immer vor unangenehmen Aufgaben drückt, schafft  nicht, was er möchte. Und das hat nicht nur wirtschaftliche Folgen, das Verhalten wurde auch mit einer Reihe psychischer Probleme in Verbindung gebracht, so Sahiti Chebolu, die die dahinterstehenden Ursachen untersucht hat. Sie weiß, dass es verschiedene Ursachen gibt, deshalb hilft auch jedem etwas anderes. „Prokrastination ist ein Sammelbegriff für verschiedene Verhaltensweisen. Wenn wir sie verstehen wollen, müssen wir zwischen ihren verschiedenen Formen unterscheiden.“ Ihre Erkenntnisse könnten helfen, maßgeschneiderte Strategien zur Bewältigung zu entwickeln.

      Morgen ist auch noch ein Tag. 

      Ein häufiges Muster ist, dass wir unsere eigenen Entscheidungen unterlaufen. Zum Beispiel so: Seit Anfang der Woche haben wir uns den Mittwochabend für die Steuererklärung reserviert. Und dann läuft am Mittwoch plötzlich ein Länderspiel. Und schon erwischen wir uns dabei, wie wir den Fan-Schal über dem Fernseher drapieren und die Chips und Nüsse hervorholen. Warum schieben wir auf? Warum machen wir nicht das, was wir uns vorgenommen haben? Weil das, was näher ist, am wichtigsten ist. Jedenfalls für unser Gehirn. Deshalb ist es uns gefühlt immer wichtiger, was heute ist, als dass, was in der Zukunft sein wird. Und so wird die Feier am selben Abend extrem bedeutend und die Klausur in einem Monat fristet am Rand unseres geistigen Horizonts ein kümmerliches Dasein. Dass wir nicht frühzeitig lernen? Liegt an unserem Gehirn, dem kurzsichtigen Ding. Es neigt dazu, unmittelbare Befriedigung höher zu bewerten als langfristige Vorteile. 

      Das Gehirn will Spaß.

      Es will Vergnügen, weil sich das sofort viel besser anfühlt. Das ist eine Folge unserer Steinzeit-Gene. Wenn wir auf der Jagd waren, auf dem Weg aber an einem Beerenstrauch vorbeiliefen, dann plädierte das Gehirn lautstark für die Beeren. Die waren schließlich sicher, stillten den Hunger und sicherten unser Überleben. Ob die Jagd erfolgreich verlaufen würde, stand in den Sternen. Auch heute bevorzugt unser Gehirn das Naheliegende und verleitet uns damit zu kurzsichtigen Handlungen. Wer langfristig etwas erreichen will, muss sich also gegen den Feind in seinem eigenen Kopf behaupten. Und das ist leichter gesagt, als getan. 

      Einfach nur faul? Von wegen!

      Chebolu analysierte große Datensätze von Studierenden der New York University, die im Laufe eines Semesters eine feste Anzahl Versuchspersonenstunden ableisten mussten. Manche absolvierten gleich am Anfang alle Experimente, andere verteilten sie gleichmäßig über mehrere Wochen – und natürlich gab es auch solche, die sich so lange drückten, bis es fast zu spät war. Die waren wissenschaftlich besonders interessant. Chebolu reproduzierte ihr Verhalten mit Computersimulationen auf der Suche nach dem „Warum“. Es scheint naheliegend, die Schuld bei der Vorliebe unseres Gehirns für unmittelbare Befriedigung zu suchen. Aber wir haben alle die gleichen Steinzeitgene. Warum gelingt es einigen Menschen, sich langfristig für die richtigen Ziele zu entscheiden, anderen aber nicht? Es hat sich gezeigt, dass zwei weitere Faktoren dabei wichtige Rollen spielen: Unsicherheit und unser Selbstwertgefühl. 

      Unsicherheit und Selbstwertgefühle

      Unser Gehirn will sichere Erfolge. Deshalb greift es besonders dann sehr lautstark ein, wenn wir uns nicht sicher sind, und fordert die kurzfristige Belohnung, frei nach dem Motto: Was man hat, das hat man! „Unsicherheit ist ein weiterer wichtiger Faktor“, betont Chebili. Zweifeln wir also, ob wir unser Ziel erreichen, sind wir besonders anfällig dafür, alles aufzuschieben. Dazu gehört auch Ungewissheit zum Beispiel darüber, wie lange wir brauchen, alle Belege über absetzbare Ausgaben für die Steuererklärung zusammenzusuchen. Doch Unsicherheit kann auch bedeuten, dass wir zweifeln, ob wir die nötige Kompetenz für eine Aufgabe haben. Oder aber nicht sicher sind, ob sie mit unseren Zielen in Einklang steht. So schützt unser Hirn nicht nur unser vermeintliches Überleben, sondern auch den Rest unseres fragilen Selbstwertgefühls.

      Wir sind nicht faul – nur fehlgeleitet.

      Und das wirft einen ganz neuen Blick auf unsere Tendenz, Sachen aufzuschieben. Wir sind nicht faul, aber fehlgeleitet. Im Laufe der Entscheidungen, die wir treffen, läuft irgendwann etwas schief. Wenn wir wissen, wo es bei uns hakt, kann man dann passende Bewältigungsstrategien ableiten. Nehmen wir zum Beispiel die Steuererklärung: Würden wir alle Belege sofort in einen Ordner abheften, wären wir sicher, die Erklärung auch wirklich an einem Abend schaffen zu können. Man könnte auch zwei Abende für die Erklärung einplanen: am ersten Abend sucht man die Belege, am zweiten füllt man das Formular aus. Und die Deutscharbeit meines Sohnes? Sie war mit seinen Zielen nicht im Einklang. Er wird nämlich Profi-Fußballer und dann braucht er keine Aufsätze zu schreiben. Logisch, dass sein Gehirn ihm riet, lieber zu trainieren, als zu üben, während ich dem 12-Jährigen das sagte, was mir meine Eltern immer rieten: „Kind, mach doch wenigstens dein Abitur!“. Dass das nicht wirklich hilft, weiß ich selbst. Aber als Eltern ist man manchmal einfach hilflos. Und deshalb interessiert mich ganz besonders, welche Strategien die Neurobiologin Chebili denn so herausgefunden hat. 

      3 Strategien, die dir helfen können:

        Belohnungen: Wer merkt, dass sein Gehirn etwas zu sehr auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung gepolt ist, sollte sich kleinere Belohnungen zwischendurch versprechen. Das kann erstaunlich gut wirken. 

        Zeitgebundene Ziele: Wer Dinge aufschiebt, bis sie riesig groß geworden sind, schätzt den Faktor Zeit falsch ein. Und dann entstehen Zweifel, ob das Ziel überhaupt noch erreichbar ist, und das Gehirn wird immer lautere Ablenkungen vorschlagen. In einem solchen Fall braucht man eine langfristige Planung und ein kleinschrittiges Vorgehen. Wir sich weit im Voraus in kleinen Schritten seinem Ziel nähert, wird die Zuversicht erhalten, dass er es am Ende auch schaffen wird.

        Unterbrechungen: Wer ganz viel anfängt, aber nichts durchhält und schnell wieder aufgibt, der braucht weniger Ablenkung. Ihm hilft ein Wechsel in eine ruhige Umgebung, in der das Gehirn keine Alternative findet, als die jeweils aktuelle Aufgabe.

        Technologische Hilfsmittel

        In der heutigen digitalen Welt gibt es zahlreiche Apps und Tools, die helfen können. Hier sind einige, die besonders nützlich sein könnten:

        Todoist: Diese App hilft dir, deine Aufgaben zu organisieren und Prioritäten zu setzen. Du kannst To-Do-Listen erstellen, Erinnerungen setzen und deine Fortschritte verfolgen.

        Forest: Diese App motiviert dich, fokussiert zu bleiben, indem sie dir erlaubt, virtuelle Bäume zu pflanzen, die wachsen, solange du konzentriert arbeitest. Lässt du dich ablenken, stirbt der Baum.

        RescueTime: Mit dieser App kannst du verfolgen, wie viel Zeit du für verschiedene Aktivitäten auf deinem Computer oder Smartphone verbringst. Sie gibt dir Einblicke in deine Produktivität und hilft dir, deine Zeit besser zu managen.

        Trello: Trello ist ein visuelles Organisationstool, das dir hilft, Projekte zu planen und Aufgaben in übersichtlichen Karten und Boards zu verwalten. Es ist ideal, um den Überblick über größere Projekte zu behalten.

        Pomodoro Timer: Diese App basiert auf der Pomodoro-Technik, bei der du in Intervallen arbeitest, die durch kurze Pausen unterbrochen werden. Das hilft dir, konzentriert zu bleiben und regelmäßig Pausen einzulegen.

        Wir sind nicht faul. Es liegt an unserem Gehirn, dass wir Dinge aufschieben. Das dumme Ding denkt, wir leben noch in der Steinzeit. Die Forschung von Sahiti Chebolu zeigt, dass es möglich ist, das zu überwinden, indem wir unsere Entscheidungsprozesse und die zugrunde liegenden Mechanismen besser verstehen. Technologische Hilfsmittel können dabei eine wertvolle Unterstützung sein. 

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