Freizeit

Darum mag der Hund ihn nicht

„Ich war 10.“ Julia spielte im Garten, als ein Mann aus der Nachbarschaft vorbeikam. „Ist deine Mutter zuhause?“, fragte er freundlich, während er die Gartentüre öffnete. Wie ein Blitz schoss Familienhund Lucky hervor, bellte mit gesträubtem Fell und warf sich heftig mit seinem ganzen Körper gegen die halb geöffnete Tür. Der Nachbar lief weg. Später im Sommer wurde er verhaftet und wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs verurteilt.

Lucky hatte noch niemals vorher so reagiert.

Wie hatte der Hund gespürt, dass der Mann gefährlich war? Können Hunde es wittern, wenn von Menschen Gefahr ausgeht? „Hunde können den emotionalen Zustand des Menschen riechen und seine Emotionen als ihre eigenen annehmen“, sagt Biagio D`Aniello von der Universität Neapel. “Die Rolle des Geruchssystems wurde bisher weitgehend unterschätzt, vielleicht weil unsere eigene Spezies sich mehr auf das visuelle System konzentriert.”

In einem Forschungsprojekt, das im Jahre 2018 in der Fachzeitschrift “Animal Cognition” publiziert wurde, haben Wissenschaftler den Schweiß von Hundebesitzern gesammelt, während diese Komödien oder Horrorfilmen schauten. Später wurde der so gewonnene Duft im Raum vernebelt. Die Hunde, die dem Angstduft ausgesetzt wurden, konzentrierten sich stärker auf ihre Besitzer, und zeigten sich je nach Temperament ängstlich oder wachsam. In der Tat erinnerte sich Julia, dass sie es komisch fand, dass der Mann in ihren Garten kommen wollte. Er war vorher noch nie zu Gast bei ihr gewesen und sie fühlte sich unwohl. Vieles spricht dafür, dass Lucky das wahrgenommen hat. Hunde sind wahre Meister des Geruchssinns, der bei ihnen bis zu 100.000 Mal ausgeprägter ist als beim Menschen. Das bedeutet, dass Hunde in der Lage sind, Gerüche wahrzunehmen, die für uns nicht wahrnehmbar sind. Doch nicht nur das: Sie können ihnen auch viel mehr Bedeutung beimessen. Während wir Menschen Gerüche oft nur als gut oder schlecht einstufen, sammeln Hunde Informationen zu allen möglichen Gerüchen und speichern diese in Nuancen ab. So sind sie in der Lage, selbst kleinste Spuren zu verfolgen und aus den Gerüchen wichtige Informationen herauszulesen. Sie bauen sich so ein Geruchsgedächtnis auf. Und das heißt? Das, was ein Hund nicht kennt, kann er auch nicht verstehen. Deshalb wachsen ganz besonders die Hunde in Gefahrensituationen über sich hinaus, die schlechte Erfahrungen gemacht haben.

„Als ich klein war, bekamen wir einen Deutschen Schäferhund.“

Tom wuchs im Allgäu auf einem Bauernhof auf. „Ich weiß nicht, was dem armen Hund vorher zugestoßen war. Er verkroch sich, sobald jemand die Stimme etwas erhob und war der ängstlichste und friedlichste Hund, den man sich nur vorstellen konnte. Unsere Katzen schliefen auf seinem Kopf. Eines Tages hörte ich ihn an der Haustür schrill bellen. Ich lief hin und erkannte ihn kaum wieder. Das Fell gesträubt, die Zähne gefletscht, der Speichel tropfte ihm aus dem Maul. Über den Hof kam ein Hausierer, der Bürsten verkaufte. Ich öffnete die Tür und ging die Treppe runter, der Hund blieb oben stehen. Immer noch grollend, aber am ganzen Leib zitternd. Wenn man ihn nicht kannte, konnte es so aussehen, als würde er vor Wut zittern. Ich sah aber, dass er auf die Treppenstufen pinkelte. Der Mann fragte nach einem Glas Wasser und ich sagte, der Hund würde ihn nicht mögen und sei nicht angeleint, er solle besser gehen.“

Die Ursache dafür beschreibt Verhaltensforscherin Patricia McConnell in ihrem Buch „Am anderen Ende der Leine“. Sie wurde als Trainerin zu einem Hund gerufen, der scheinbar grundlos manche Menschen angriff, während er sich ansonsten freundlich und zugewandt zeigte. Der Grund für seine Abneigung schien vollkommen unklar. Um den Grund für diese selektive Aggression herauszufinden, befragte sie die Kunden und konnte keine eindeutigen Muster oder Gemeinsamkeiten bei den Bissopfern feststellen – außer einem ähnlichen Geruch. Alle Opfer hatten vor ihrem Besuch Pizza gegessen, was der Hund noch Stunden später wahrnehmen konnte.

Wie sich herausstellte, hatte der Hund als Welpe eine traumatische Erfahrung mit einem Pizzalieferanten gemacht, der ihn getreten hatte. Seitdem hatte er eine starke Verknüpfung zwischen Pizzageruch und Gefahr entwickelt. Sobald er Pizza roch, war er im Verteidigungsmodus. Nachdem das festgestanden hatte, konnte der Hund erfolgreich gegenkonditioniert werden, sodass der Hund begann, den Geruch mit positiven Erfahrungen zu verknüpfen. Der Schäferhund von Tom? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er irgendwann einmal im Leben einen ähnlichen Geruch bei einem Menschen gerochen hat und ihn als „große Gefahr“ abgespeichert hat.

Wie können wir das nutzen, um mit dem Hund gut zu leben?

Verhaltenskontrolle: Gerüche können konditioniert werden, um einen Hund in stressigen Situationen zu beruhigen, indem wir ein Duftkissen immer dann in sein Körbchen legen, wenn er schläft.

Wohlgefühl: Zu viel Lärm macht uns Menschen krank, zu viel optische Reize regen uns auf. Das Gleiche gilt für den Hund. Deshalb sollten keine Duftkerzen, Räucherstäbchen oder Lufterfrischer in einem Hundehaushalt zu finden sein. Durch zu viel Düfte überreizte Hunde können negative Reaktionen zeigen wie Rückzug, Depression, Unruhe, Erschöpfung. Außerdem werden Stress und Magenbeschwerden mit einer Überforderung durch äußere Reize in Verbindung gebracht.

Duftvorlieben: Reagiert der Hund in manchen Situationen anders als sonst? Dann sollte man immer auch den Umgebungsduft überprüfen. Manchmal liegt dort die Ursache des Problems.

Der Artikel erschien im Magazin Hundewelt. „Wir wollen, dass du deinem Hund näher kommst. Dafür arbeiten wir und stellen dir jeden Monat neue Perspektiven, Methoden und Sichtweisen vor“, sagt die Redaktion, die dahinter steht. Wer will, schaut rein. Es bringt euch sicher weiter.

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