
Socken ohne Partner – Die stille Tragödie im Wäschekorb
Die Alltagsphilosophie-Kolumne exklusiv bei Minerva VISION:
Denken hilft auch nicht – Alltagsbeobachtungen mit Tiefgang
Sie verschwinden. Immer nur eine. Als wollten sie beweisen, dass Dualität eine Illusion ist. Du sortierst, du hoffst, du kombinierst kreativ. Und am Ende sitzt du da. Mit drei rechten und keiner linken Socke. Und einer, bei der du nicht mal weißt, ob sie je zu irgendwem gehörte. Vielleicht ist sie einfach so entstanden. Wie Schimmel. Oder Philosophie.
Sie kommen zu zweit. Immer. Wie Pinguine. Oder Handschuhe. Und dann… ist einer weg. Einfach so. Ohne Abschied. Ohne Hinweis. Ohne Postkarte.
Man findet sie wieder. Wochen später. Hinter der Waschmaschine. Unter der Couch. Einmal sogar im Kühlschrank – frag nicht. Und immer fragt man sich: Wie? Wie kommt ein Baumwollstrumpf aus einem 40-Grad-Waschgang in das Gemüsefach? Und noch wichtiger: Warum?
Man könnte glauben, sie fliehen. Dass einzelne Socken ein Eigenleben führen. Dass sie sich in der Waschmaschine heimlich organisieren und Fluchtpläne schmieden. Vielleicht gibt es ein geheimes Sockenparadies, irgendwo auf der Rückseite des Trockners. Mit Liegestühlen. Und keiner Verpflichtung, je wieder getragen zu werden.
Zurück bleiben die einsamen. Die Witwersocken. Die Halbpaare. Die Trauernden. Du hebst sie auf, in der Hoffnung, dass das Gegenstück irgendwann zurückkehrt. Aber das tut es nie. Und so sammeln sich die Einzelgänger. Eine Schublade voller verlassener Stoffe. Manchmal trägst du sie trotzdem. Zwei verschiedene. Weil dir kalt ist. Oder weil du den Glauben an Ordnung verloren hast.
Und genau das ist das Traurige: Der Mensch akzeptiert es. Irgendwann. So wie man auch akzeptiert, dass Toast verbrennt, Beziehungen scheitern und die Bahn zu spät kommt. Die einzelne Socke ist unser stilles Mahnmal. Für Verlust. Und für die Absurdität des Alltags.
Und die Lehre?
Jede einzelne Socke beweist: Man kann auch ohne Gegenstück weiterleben. Unpassend, aber warm.

Unser Kolumnist: Karl von Nebenan
Beruf: Irgendwas mit Verwaltung, aber keiner weiß, was er genau verwaltet, Kolumnist | Wohnt: Im Erdgeschoss – seit 1983 | Besonderheiten: Besitzt sieben verschiedene Thermoskannen | Hält Schweigen für eine Form von Respekt – oder Überlegenheit