
Kühlschrankblick – Eine Meditation über Leere, Hoffnung und verpackten Käse
Die Alltagsphilosophie-Kolumne exklusiv bei Minerva VISION:
Denken hilft auch nicht – Alltagsbeobachtungen mit Tiefgang
Kennst du das? Du stehst vor dem offenen Kühlschrank, starrst hinein – minutenlang. Nicht, weil du Hunger hast. Nicht, weil du etwas Bestimmtes suchst. Sondern weil du… irgendwas erwartest. Irgendein Zeichen. Eine Eingebung. Eine kulinarische Offenbarung. So wie Indiana Jones, der in einen Tempel schaut – nur mit weniger Schlangen und mehr Joghurt.
Es ist dieser Moment, in dem du das Gefühl hast: Wenn du nur lange genug guckst, erscheint vielleicht etwas. Magisch. Eine Lasagne. Eine Idee. Eine Richtung im Leben. Und was findest du? Ein Glas mit dem Aufdruck „Ajvar, mild“, das da seit dem letzten Bundestagswahlkampf steht. Und eine halbe Zitrone, die aussieht, als hätte sie sich innerlich bereits aufgegeben.
Warum tun wir das? Warum öffnen wir diesen Schrank, als wäre er eine Art kulinarisches Orakel? Vielleicht weil er uns Hoffnung gibt. Immerhin ist er hell erleuchtet. Und geordnet. Und er macht dieses beruhigende Brummen, wie ein alter Therapeut, der nichts sagt, aber Verständnis signalisiert.
Der Kühlschrank ist das letzte große Versprechen: Hier ist etwas. Vielleicht nicht das, was du willst. Aber irgendwas ist da. Und das reicht uns oft schon.
Manchmal öffnen wir ihn sogar wieder, obwohl wir vor drei Minuten schon drin waren. In der irrationalen Hoffnung, dass sich in der Zwischenzeit etwas verändert hat. Vielleicht hat sich ein Käsebrot spontan materialisiert. Vielleicht hat der Pudding sich vermehrt. Vielleicht hat die Realität kurz nachgegeben.
Das ist wie bei Menschen, die ständig auf ihr Handy schauen, obwohl es nicht geklingelt hat. Oder wie bei Wahlplakaten – man weiß, es bringt nichts, aber man glotzt trotzdem hin. In der Hoffnung, eine Antwort zu finden auf Fragen, die man gar nicht formulieren kann.
Und dann – irgendwann – machst du die Tür wieder zu. Du isst doch nur das trockene Brot von gestern. Ohne Belag. Und denkst dabei: Vielleicht guck ich später nochmal rein.
Und weißt du, was das eigentlich zeigt?
Dass wir Menschen zu den wenigen Spezies gehören, die in leere Boxen starren – und trotzdem auf Wunder hoffen. Nur weil irgendwo Licht brennt.

Unser Kolumnist: Karl von Nebenan
Beruf: Irgendwas mit Verwaltung, aber keiner weiß, was er genau verwaltet, Kolumnist | Wohnt: Im Erdgeschoss – seit 1983 | Besonderheiten: Besitzt sieben verschiedene Thermoskannen | Hält Schweigen für eine Form von Respekt – oder Überlegenheit