Gesundheit

„Hallo? Gehirn? Noch da?“ – Leben mit der unsichtbaren Erschöpfung

Mein Leben mit MS:

Hallo und herzlich willkommen bei MS-Voices! Ich bin Irene, und hier dreht sich alles um das Leben mit Multipler Sklerose (MS). Als ich vor einigen Jahren die Diagnose erhielt, hat sich mein Alltag auf den Kopf gestellt – und ich war plötzlich mit unzähligen Fragen, Ängsten und Herausforderungen konfrontiert. In diesem Blog möchte ich meine persönlichen Erfahrungen mit euch teilen und Menschen eine Stimme geben, die unter MS leiden. Wie ist das wirklich, mit MS zu leben? Wie verändert es den Alltag, die Beziehungen und die Zukunftsplanung? Hier gibt es ehrliche Einblicke, praktische Tipps und die ein oder andere Anekdote aus meinem Leben – direkt aus dem Herzen einer Betroffenen.

Manchmal sitze ich einfach nur da. Schaue auf eine Seite voller Buchstaben. Ich weiß, ich habe gerade eben angefangen zu lesen. Ich weiß auch, dass mich das Thema eigentlich interessiert. Oder interessiert hat. Aber während meine Augen über die Zeilen gleiten, bleibt nichts hängen. Nichts. Als hätte jemand meinen Kopf in Watte gepackt, das Denken auf Standby geschaltet und alle Sinne heruntergedimmt. Willkommen in der Welt der kognitiven Fatigue, einem der wohl unsichtbarsten, aber zermürbendsten Gesichter der Multiplen Sklerose.


Beruflich vertraut – und doch ganz neu

Früher war mein Kopf mein Kapital. Ich habe für eine große Tageszeitung gearbeitet, war mittendrin im Anzeigenabteilung und auch redaktionellen Alltag, mitten im Getöse der Eilmeldungen, Themen, Wortspiele. Heute bin ich im Minijob, seit neuestem im redaktionellen Bereich. Eigentlich vertrautes Terrain. Und doch ist alles anders. Denn mein Gehirn ist langsamer geworden. Lückenhafter. Neue Informationen verarbeite ich nur mühsam, vieles bleibt nicht haften. Es ist, als hätte mein Kopf ein paar Türen zugemacht, ohne mir den Schlüssel zu überlassen.

Ich strenge mich an. Ich will zeigen, dass ich das noch kann. Und dann kommt sie wieder, diese leise Angst: Was, wenn ich nicht genüge? Was, wenn mein früheres Ich mehr war als mein heutiges? Und was, wenn das bleibt?


Die Welt rauscht vorbei – und ich bleibe stehen

Es ist nicht nur das Denken, das schwerfällt. Es ist das Fühlen. Ich, die Bücher über Australien verschlungen hat – nicht nur wegen des weiten Landes, der Farben, der Tierwelt, sondern auch, weil dort der Traum meines Lebens liegt. Australien zu sehen, das wollte ich schon als Teenager. Und jetzt? Ich greife zum Buch, beginne zu lesen und verliere den Faden. Die Worte rauschen an mir vorbei wie Autos auf der Autobahn. Ich schließe das Buch. Vielleicht morgen. Vielleicht.

Manchmal ist mir alles egal. Dann schleicht sich eine Gleichgültigkeit in mein Herz, die alles überlagert: Pläne, Wünsche, Gespräche. Und manchmal denke ich dann: So fühlt sich also echte Leere an.


Weitere Themen:

Jens – mein Mensch, mein Halt

Und in all dem ist Jens. Mein Jens. Der Mensch, den ich über alles liebe. Der Mann, der selbst Narben trägt, innen wie außen. Als Einsatzveteran lebt er mit einer schweren Form der PTBS. Seine dunklen Stunden, seine inneren Kämpfe. Ich kenne sie. Ich habe sie miterlebt. Ich habe ihn aufgefangen. So wie er mich jetzt auffängt. Still, kraftvoll, verlässlich. Wir tragen einander. Nicht immer im Gleichschritt, aber immer Hand in Hand.

Ich verstehe ihn jetzt besser als je zuvor. Ich weiß, wie es ist, wenn man funktionieren soll, aber innerlich zerfasert. Wenn man will, aber nicht kann. Wenn man lebt, aber nur halb.

Und trotzdem: Wir halten. Wir halten uns. Wie die Musketiere. In guten und in dunklen Zeiten. Vielleicht sogar irgendwann am anderen Ende der Welt, in Australien, wo seine Tochter lebt. Vielleicht sehen wir diesen Traum eines Tages gemeinsam. Wer weiß?


Kognitive Fatigue: Das unsichtbare Symptom

Kognitive Fatigue ist schwer zu erklären. Es ist keine einfache Erschöpfung. Es ist ein mentales Ausgebranntsein, das sich nicht durch Schlaf oder Kaffee beheben lässt. Man denkt sich müde. Man fühlt sich leer. Und nach außen sieht alles normal aus.

Kognitive Fatigue bei MS

  • Was ist das? Kognitive Fatigue beschreibt eine extreme geistige Erschöpfung, Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit und reduzierte mentale Leistungsfähigkeit.
  • Ursache: Neben der Entzündungsaktivität bei MS spielt auch Neurodegeneration eine Rolle, die Nervenzellen arbeiten langsamer oder gar nicht mehr.
  • MRT? Keine Hilfe! Diese Symptome sind im MRT oft nicht sichtbar.
  • Was hilft? Struktur im Alltag, ausreichend Pausen, Akzeptanz und ein unterstützendes Umfeld.

Ich bin nicht nur meine Müdigkeit

Ich habe lange gedacht, dass ich mich einfach mehr anstrengen muss. Dass ich versage. Aber das stimmt nicht. Ich bin nicht mein „Nicht-mehr-Können“. Ich bin nicht meine Müdigkeit. Ich bin Irene und mein Leben ist mehr als ein Satz unkoordinierter Gedanken. Auch wenn es sich manchmal anders anfühlt.

Die Musik in meinem Kopf spielt leiser. Aber sie spielt. Und manchmal, wenn ich Jens‘ Hand halte, höre ich sie ganz klar.

Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, diesen Beitrag zu lesen! Ich hoffe, dass meine Erfahrungen dir ein Stück Klarheit oder Ermutigung schenken konnten. Als ich die Diagnose MS bekam, fühlte ich mich oft allein und überfordert. Genau deshalb habe ich ein Buch geschrieben, das ich selbst damals so dringend gebraucht hätte. „Spring, damit du fliegen kannst.: Ein Selbsthilfe-Ratgeber für MS-Erkrankte und ihre Angehörigen.“ Es ist bei Minerva-Vision erschienen. Wenn du Interesse hast, schau es dir gerne an – vielleicht ist es genau das, was auch dir weiterhelfen kann. Oder hör dir meinen Podcast „MS-Voices“ an. Bis zum nächsten Mal!

Du hast auch MS und möchtest mit mir in meinem Podcast darüber sprechen? Dann schreib mir eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.


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