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Die Kunst der kleinen Pausen

Achtsamkeit im hektischen Alltag? Von wegen….

Hier schreibt die Ute. Über 50, mit mehr Lebenserfahrung als Faltencremes im Badezimmerschrank. Liebt Bücher, guten Rotwein und Gespräche, die auch mal wehtun dürfen. Sie hält nichts von Schönheitswahn und Fitness-Apps, aber viel von ehrlichen Worten und warmem Apfelkuchen. Mit Sahne. Und jeden Dienstag schenkt sie uns ihre Gedanken.

Also, wir tun ja immer so, als müssten wir alles gleichzeitig schaffen: die Waschmaschine ausräumen, das Handy beantworten, dem Chef eine Mail tippen, die Freundin beruhigen, weil ihr Kater wieder auf den Teppich gepinkelt hat. Nebenbei sollen wir auch noch achtsam sein.

Achtsamkeit. Wenn ich das schon höre. Dieses Modewort, das auf jedem Yogatee-Beutel steht, klingt inzwischen so abgedroschen, dass ich beim Lesen schon genervt mit den Augen rolle. Ich würde es eher mit „kleine Pause“ übersetzen. Aber dieser Begriff wurde ja von einem Schokoriegel-Hersteller gekapert und ist heute im pastellfarbenen Yoga-Mind-Set wahrscheinlich dadurch vergiftet.

Warum wir kleine Pausen so dringend brauchen

Wir haben uns doch selbst in diesen Wahnsinn manövriert. Wir rasen durch die Tage wie in einem Hamsterrad, nur mit mehr Kaffee und schlechterer Laune. Abends liegen wir erschöpft im Bett, wischen noch schnell durch Instagram, vergleichen uns mit schlankeren, reicheren, erfolgreicheren Menschen, schlafen dann unruhig und wachen morgens auf wie ein Zombie mit Augenringen.

Und trotzdem reden wir uns ein, wir müssten „funktionieren“. Aber wir sind doch keine Waschmaschinen mit Dauerschleudergang. Wir sind Menschen. Und Menschen brauchen Pausen. Nicht einmal im Jahr auf Malle. Nicht erst, wenn wir kurz vorm Burnout stehen. Sondern jeden Tag. Kleine, feine, stille Momente, in denen wir wieder merken: Ach ja, da bin ich ja noch!

Die Kunst der kleinen Pausen

Die gute Nachricht: Dafür müssen wir nicht gleich auf einen Meditationsretreat nach Bali fliegen (obwohl das natürlich nett wäre). Kleine Pausen gehen auch hier, mitten im Alltag, zwischen Müsli und Mülltonne.

  • Der erste Kaffee am Morgen ohne Handy, ohne Nachrichten, ohne To-do-Listen. Einfach nur sitzen und spüren, wie der Kaffee schmeckt.
  • Das Fenster öffnen und atmen. Einmal tief ein, tief aus, den Himmel anschauen. Auch wenn er grau ist.
  • Die zehn Minuten im Wartezimmer. Statt auf das Handy zu starren, einfach mal die eigenen Gedanken beobachten. Ja, es ist unbequem. Aber ehrlich gesagt: Wann haben wir das zuletzt gemacht?
  • Abends die Tasse Tee. Nicht als Schlaftrunk, sondern als kleines Ritual, um uns selbst Gute Nacht zu sagen.


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Warum wir uns das nicht gönnen (und wie wir es doch schaffen)

Wir glauben immer, wir müssten wichtig sein, unentbehrlich, stark. „Keine Zeit!“, rufen wir stolz in die Welt, als wäre das ein Orden, den wir uns ans Revers heften können.

Dabei haben wir heute doch angeblich alle Entlastung der Welt: Die Waschmaschine wäscht, der Saugroboter dreht seine Runden wie ein kleiner Depp, die Spülmaschine spült — ja, theoretisch müssten wir doch jetzt alle im Liegestuhl liegen und geduldig warten, bis der Kaffee durchläuft.

Aber was machen wir stattdessen? Wir füllen jede freie Minute mit noch mehr Zeugs. Mehr Sport, mehr Mails, mehr Kurse, mehr Selbstoptimierung, mehr vegane Overnight Oats, die morgens auf Instagram schön aussehen müssen.

Früher haben wir halt die Wäsche gewaschen, Punkt. Heute aber? Heute wollen wir den Haushalt perfekt, den Körper durchtrainiert, die Karriere glänzend, die Familie glücklich, den Hund bestens erzogen und dann bitte noch Achtsamkeit auf dem Balkon bei Sonnenuntergang.

Wir machen also nicht weniger als früher. Wir machen eigentlich mehr. Viel mehr. Und sind deshalb so erschöpft, dass wir abends nur noch auf dem Sofa zusammensacken wie ein nasser Putzlappen. Und dann? Tadaaaa – gibt es einen neuen Trend, die Achtsamkeit. Achtsamkeit wird in unserer Leistungsgesellschaft oft wie ein Pflaster benutzt, damit wir trotzdem weiter funktionieren können. Sie wird verkauft wie eine Wellness-Marke: „Mach noch schnell einen Achtsamkeitskurs, dann kannst du danach wieder besser liefern.“

Leben ist jetzt

Kaum ein Begriff ist in den letzten Jahren so ausgeschlachtet worden. Achtsam putzen, achtsam essen, achtsam atmen, achtsam Zähne putzen, demnächst wahrscheinlich auch noch achtsam Müll rausbringen. Früher haben wir einfach mal die Beine hochgelegt. Heute müssen wir dabei „achtsam entspannen“, damit wir später wieder fit sind, um noch mehr To-do-Listen abzuarbeiten. Achtsamkeit ist inzwischen zu einer Art heimlicher Leistungsdisziplin geworden. Wir sollen sie praktizieren, damit wir noch belastbarer, noch konzentrierter, noch ausgeglichener sind. Also quasi: meditiere zehn Minuten, dann schaffst du später auch die 70-Stunden-Woche mit links.

Ganz ehrlich? Ich mag das nicht. Ich finde, das macht uns nur noch fertiger. Wir optimieren schon alles, unseren Körper, unseren Schlaf, unser Essen, unser Lächeln auf Fotos. Müssen wir jetzt auch noch unsere Pausen optimieren?

Deshalb plädiere ich für das gute alte Wort: Pause.

Pause ist so schön unambitioniert.
Pause fragt nicht, ob wir sie sinnvoll nutzen.
Pause will nicht, dass wir danach erleuchtet sind.
Pause ist einfach: Setz dich hin, atme, glotz aus dem Fenster.

In einer Pause darf der Kaffee kalt werden. Wir dürfen den Wolken zuschauen. Wir dürfen uns langweilen, ja, auch das, obwohl wir verlernt haben, wie das geht. Eine Pause muss nicht schön aussehen und schon gar nicht auf Instagram landen. Wir müssen dabei keine Lotusblume sein, keine perfekte Kerze anzünden, keine Achtsamkeitsmusik dudeln lassen. Wir brauchen keine App, die unsere Atemzüge zählt, während wir uns angeblich erholen. Wir brauchen einfach mal zehn Minuten, in denen wir gar nichts sind außer: da. Und dann passiert das Leben. Wenn wir den Vogel hören. Den Kaffee schmecken. In den Himmel starren, auch wenn er grau ist. Wenn wir uns das erlauben, merken wir plötzlich: Wir atmen ja noch. Wir sind noch da. Und wir sind, verdammt noch mal, eigentlich schon genug. Ohne perfektes Bauch-Beine-Po-Workout, ohne glänzenden Küchenboden, ohne 8.000 Schritte auf der Uhr.

Also, trinkt euren Kaffee in Ruhe, lauscht dem Regen, atmet einmal tief durch: Mehr braucht’s manchmal gar nicht, um wieder ein bisschen mehr man selbst zu sein.

Die Ute vom Dienstag

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